Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Neuzugänge müssen noch eine Menge über das
Theater lernen, zum Beispiel, wie man es anstellt, sich von unten nach ganz oben
zu schlafen.«
»Da müssen
sie doch nur dich fragen«, erwidert Tina. »Wie wäre es mit der Vorstellung, dass
Leo sich in Rosa einfach verliebt hat? Geht das rein in eure Köpfe?«
Die drei
anderen kichern.
»Vergiss
es«, sagt Marlene und für einen Moment höre ich Bitterkeit in ihrer Stimme. »Der
Mann kann nicht lieben. Liebe ist ein Gefühl, das ihm völlig fremd ist, und das
wird sein aktuelles Betthäschen sehr bald merken.«
»Na, wenn
das so ist, kannst du ja zufrieden sein«, höre ich Tina sagen.
In diesem
Moment öffne ich die Tür. Ich habe genug gehört, sogar mehr als genug, um zu wissen,
dass das Wohlgefühl der letzten Zeit nur auf Sand gebaut war. Bis auf Tina ist keine
der Kolleginnen aufrichtig nett zu mir. Die anderen tun nur so und lästern hinter
meinem Rücken.
*
Selbst wenn ich mein verkniffenstes,
bösestes Gesicht mache, sehe ich scheinbar noch aus wie ein goldiges Schaf. Als
ich die Schnauze voll habe von dem künstlichen Getue meiner Kolleginnen (und bevor
ich vor Enttäuschung über ihre Falschheit zu heulen anfange), schnappe ich mir meine
Handtasche und gehe rüber auf den Platz, um mir einen XXL-Kaffee und eine Tüte Amaretti
zu holen. Meine Laune ist auf dem Tiefpunkt.
Ich bin
überzeugt, dass ich aussehen muss, als hätte ich eine Handgranate in der Hosentasche,
und trotzdem spricht mich direkt ein bestens gelaunter Typ von Greenpeace an, der
seinen Stand vor den Shopping-Arkaden aufgebaut hat, um Unterschriften und Spenden
zu sammeln. Normalerweise ist mir die Überfischung der Meere nicht egal, aber heute
schon, zumal ich sowieso kaum Fisch esse. Also lasse ich ihn abblitzen, nur um im
Center direkt einem smarten Mobilfunkvertragsverkäufer in die Arme zu laufen. Die
Falte zwischen meinen Augenbrauen ist so tief wie der Grand Canyon, als ich auf
der anderen Seite der Einkaufspassage wieder heraustrete (nachdem eine hyperaktive
Douglas-Verkäuferin mich mit Parfüm einsprühen wollte). Ich frage mich, warum eigentlich
immer ich angesprochen werde. Ich meine, da laufen mindestens 2.000 Leute
an den Typen vorbei und wen picken sie aus der Menge heraus? Mich! Wenn ich einmal
so viel Glück im Lotto hätte.
Am Ausgang
steht der Blutspendebus des DRK. Ich nehme die Beine in die Hand, bevor noch einer
dieser ›Vampire‹ mit einer Hohlnadel in der Hand hinter mir herrennt, um meine Adern
anzuzapfen. Gerade als ich erleichtert feststelle, dass mich niemand verfolgt, pralle
ich mit voller Wucht gegen einen Typen in Reiterkluft.
»Retten
Sie unseren Ponyhof!«, fordert er mich auf und sofort scharen sich mehrere Kinder
um mich, die mich bitten, ein Papier zu unterschreiben, damit ihr Pferdestall nicht
zugunsten einer Schweinemastanlage abgerissen wird.
Himmeldonnerwetter!
Ich kann keinen Ponyhof retten! Ich habe ja nicht mal mein eigenes Leben im Griff.
»Keine Zeit«,
sage ich also schroff und drängele die Kinder ziemlich rücksichtslos beiseite. »Lasst
mich endlich durch!«
Aus dem
Augenwinkel sehe ich eine kleine Kutsche, die über und über mit Fotos vom Reiterhof
und bunten Kinderzeichnungen geschmückt ist. Wunderschöne Aufnahmen. Vollkommene
Idylle! Grasende Ponys in malerischer Landschaft mit wildromantischem bröckelndem
Schloss.
Plötzlich
komme ich mir wie der letzte herzlose Idiot vor, weiß jedoch leider nicht, wie ich
meinen Patzer wiedergutmachen soll. Also stöckele ich so schnell wie möglich in
die Werkstatt zurück und beschließe, den Potsdamer Platz in nächster Zeit strikt
zu meiden.
Aus dem
Essen mit Leo wird nichts. Er kommt kurz vorbei und sagt mir, dass er leider doch
keine Zeit hat.
Meine vier
Kolleginnen tun so, also ob sie in ihre Arbeit vertieft sind. Dabei kriegen sie
jedes Wort mit. Auch als Leo sich mit den Worten »Ich sehe dich heute Abend bei
uns zu Hause« verabschiedet.
Zu Hause? Oh mein
Gott! Er hat tatsächlich ›bei uns zu Hause‹ gesagt!
Wie Marlene
mit heruntergeklapptem Kiefer dasitzt und mich ungläubig anstarrt, das entschädigt
mich für so manche Pein am heutigen Tag.
Jetzt bin
ich es, die zufrieden ein lustiges Liedchen summt.
Und morgen
unterschreibe ich die Protestliste gegen Überfischung.
*
Nachdem Basti unser Treffen ein
weiteres Mal verschieben musste, sitzen wir uns endlich am nächsten Morgen im Schraders
beim Frühstück gegenüber. Vor uns stehen zwei unberührte
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