Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
nicht mehr in Vickis Zimmer. Stattdessen redete ich mir erfolgreich
ein, es wäre besser, wenn ich zuerst ein wenig Ordnung in mein inneres Chaos bringen
und dann schlafen würde. Aber es gelang mir nicht – weder das eine noch das andere.
Zu viele Gedanken fuhren in meinem Kopf Achterbahn.
Irgendwann
mitten in der Nacht rief ich endlich Basti an. Ich erwartete seine Mailbox, doch
er ging selbst ran.
»Hi, Rosa«,
sagte er. Seine Stimme klang müde.
»Ich muss
mit dir reden«, sagte ich leise. »Wann können wir uns sehen?«
»Ich hab
Doppelschicht«, antwortete er. »Wie wäre es Dienstag? 18 Uhr im Schraders?«
»Okay.«
»Bis dann.«
Eigentlich
war das Telefonat nicht schlimm gewesen. Abgesehen von der Traurigkeit in seiner
Stimme.
Als ich
die Augen schloss, sah ich ihn vor mir – in seinen heiß geliebten, immer leicht
zerrissenen Jeans … im klapprigen Renault … wie seine Augen leuchteten, als er mit
Juli in der Tür stand … im Arztkittel mit Stethoskop um den Hals … tausend Basti-Bilder,
immer sexy, wie fotografiert in meinem Kopf.
Wollte ich
ihn wirklich aufgeben?
Plötzlich
vermischten sich seine Bilder mit denen von Leo. Ich spürte dessen Hände und Lippen
auf meinem Körper, überall. Ich sah sein freches Lächeln, sein wirres blondes Haar,
mich selbst in Rosanas Kleid und wie wir auf dem Boden der Theaterbühne knien und
uns küssen. Es war, als ob ich einen wunderbaren, romantischen Hollywood-Liebesfilm
plötzlich selbst erleben durfte, und das wollte ich ganz sicher nicht aufgeben.
Irgendwann
gegen 5 Uhr morgens stand ich auf und ging duschen. Vielleicht konnte ich all die
verwirrenden Eindrücke von mir abwaschen … Leos schöne braune Augen, seinen Duft.
Bastis schlanke Finger auf meiner Haut und sein strahlendes Lächeln. Vielleicht
würde dann alles leichter sein, und ich hätte keine Zweifel mehr, wo ich hingehöre.
Während
das Wasser lief und ich hoffte, es wäre möglich, all meine Schuld, meine Ängste
und Zweifel einfach wegzuspülen, kam plötzlich Vicki ins Bad – blass und mit rotgeäderten
Augen.
Ich sah
ihr an, dass sie, genau wie ich, keine einzige Minute geschlafen hatte.
Und in diesem
Moment wurde mir klar, dass ich einen Riesenfehler gemacht hatte, als ich nicht
in ihr Zimmer gegangen war.
»Vicki!«
Ich wollte sie in die Arme nehmen und ihr alles erklären.
»Warum bist
du nicht gekommen?«, fragte sie.
Ich stellte
das Wasser ab, nahm mir ein Handtuch und wickelte es um meinen Körper. »Was meinst
du?«, entgegnete ich unsicher. »Am Wochenende zu Basti – oder heute Nacht zu dir?«
»Beides«,
sagte Vicki und schaute mich unendlich traurig an, sodass ich am liebsten losgeheult
hätte. »Diese Kaltherzigkeit hätt’ ich dir nie im Leben zugetraut.«
»Es tut
mir alles wahnsinnig leid.«
»Du bist
wie ein Schmetterling, Rosa«, sagte Vicki und setzte sich müde auf den Klodeckel.
»Fliegst fröhlich von Blüte zu Blüte und lässt dich nieder, wo es dir gefällt. Eben
noch bei Margret, dann plötzlich am Theater. Heute Basti, dann ist Weidenhain plötzlich
besser …«
»Moment
mal«, unterbrach ich sie. »Willst du mir zum Vorwurf machen, dass ich einen anderen
Job angenommen habe für einige Monate?«
»Hast du mal dran gedacht, wie Margret sich fühlt? Sie hat
dich aufgenommen, als du total am Boden warst, und was machst du? Kaum geht es dir
wieder gut, lässt du sie im Stich.«
»Du bist gemein, Vicki!«, sagte ich und fing vor Wut und Verzweiflung
nun doch an zu weinen. »Ich habe Margret gefragt, ob ich gehen kann, und sie hat
es mir erlaubt.«
»Halt dich mal nicht daran fest«, schimpfte Vicki. »Es geht
hier ums Prinzip. Weißt du, was ich glaube? Wir alle waren nur deine … deine Tankstelle,
als du fix und fertig warst. Jetzt bist du vollgetankt und haust einfach ab zum
nächsten großen Ziel.«
So sah Vicki
mich? Meine beste Freundin hielt mich für einen Schmarotzer? Weiter nichts?
»Dann kann
ich ja gehen«, sagte ich trotzig und zog die Nase hoch.
»Ja, klar«,
sagte Vicki sauer. »Geh halt. Das hattest du doch von Anfang an vor.«
Lass uns
aufhören, Vicki, bitte! Wir sind sauer. Wir haben uns vergaloppiert, aber wir sind
doch Freundinnen!
Ich suchte
verzweifelt nach den richtigen Worten. »Vicki, ich …«
»Nun hau
schon ab«, unterbrach sie mich und fügte mit beißendem Spott hinzu: »Ich erlaube
es dir!«
Ich verschwand
in meinem Zimmer. Traurig, verletzt, missverstanden … und stinksauer. Sie wollte,
dass ich ging.
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