Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Starbucks, den ich gut gebrauchen kann, denn
mittlerweile ist mir ziemlich kalt.
Die Wartezeit
verbringe ich mit dem Betrachten der Fotos und der Kinderzeichnungen. Gut Kletzin
ist wirklich zauberhaft. Kein Wunder, dass Augusta es geliebt hat. Mein Herz wird
schwer, angesichts der Zerstörung, die diesem schönen Fleckchen Erde droht.
Leo lässt
noch immer auf sich warten.
Mir kommt
der Gedanke, dass er vielleicht rüber ins Theater gegangen ist. Fröstelnd mache
ich mich auf den Weg. Meine Handtasche liegt in Leos Auto. Ich kann ihn nicht mal
anrufen.
»Tachchen,
Rosa«, sagt der Pförtner, als ich meinen Kopf in sein Büro stecke. »Haste Sehnsucht
nach deine Nähmaschine?«
»Nee«, antworte
ich. »Ich suche Leo.«
»Da biste
nich die Einzije. Den suchen heute lauter schicke Damen, aber hier isser nich.«
»Wer sucht
ihn denn noch?«
»’ne kesse Langbeenige. War neulich sojar im Fernsehn, die
Lady.«
Wer soll das sein? Vielleicht eine Schauspielerin für seinen
neuen Film? Während ich grübele, laufe ich rüber zum Ponyhof-Stand, in der Hoffnung,
Leo dort endlich zu finden.
»Rosa?«
»Ba… Basti!«
Mein Herzschlag setzt aus. »Was … was machst du denn plötzlich hier?«
Er steht
neben der kleinen Kutsche, hält ein Plakat hoch. ›Hände weg von unseren Ponys!‹
»Protestieren«, sagt er. »Das sieht man doch.«
Ich kann
mir ein belustigtes Lächeln nicht verkneifen. »Sind die nicht ein bisschen zu klein
für dich?«
»Papa reitet
gar nicht«, sagt eine süße Stimme neben mir. »Sondern ich!«
Ehe ich
mich versehe, fliegt mir ein kleiner blonder Schatz mit Pudelmütze und dickem Schal
in die Arme und drückt mich. »Juli!«
»Ich habe
dir doch von meinem Pony Stella erzählt!«
»Ja, na
klar. Ich wusste nur nicht, dass du nach Kletzin zum Reiten fährst.«
»Papa hat
gesagt, du kommst nicht her, um uns zu helfen, weil du immer so viel arbeiten musst
und keine Zeit hast.«
Er hat ihr
noch immer nichts von unserer Trennung gesagt?
Hilfe suchend
schaue ich Basti an. »Also, weißt du … ähm«, druckse ich herum.
»Ich habe
Papa aber geschworen, dass du kommst«, unterbricht sie mich strahlend (welch ein
Glück, dass Kinder meist lieber selbst reden als zuhören!). »Ich hab das nämlich
gewusst.«
»Zufälle
gibt’s«, sagt Basti, als Juli zu den anderen Kindern geht. »Was machst du hier?«
»Ich?«
Ja, was
mache ich noch hier?
Eigentlich
wollte ich längst mit Leo in seinem Auto sitzen, um zu ihm nach Hause oder erneut
Richtung Kletzin zu fahren, aber der Mann ist wie vom Erdboden verschluckt.
Wo steckt
er, verdammt noch mal?
»Weißt du,
was ein viel größerer Zufall ist?«, frage ich, um mich von der in mir aufkeimenden
Unruhe abzulenken. »Der Hof und die Stallungen, für die ihr kämpft, haben früher
Augusta gehört!«
Basti guckt
mich ungläubig an. » Der Augusta?«
»Ja! Genau
der.«
»Das ist
ein Ding! Woher weißt du das?«
»Na, aus
dem Tagebuch.«
»Und? Hätte
sie gern einen Schweinestall daraus gemacht?«
»Ganz sicher
nicht. Sie war ein richtiger Schöngeist.«
Ach Mann!
Es ist toll, mal wieder mit Basti zu reden. Schön und beunruhigend!
»Ich muss
los«, sage ich eilig, obwohl ich nicht die geringste Ahnung habe, wo ich hin soll.
Ich habe meine Handtasche nicht, ergo kein Handy, kein Geld, keine Fahrkarte. Es
hilft nichts, ich muss Leo suchen (die Stecknadel im Heuhaufen), und wenn ich ihn
nicht finde, zu ihm nach Dahlem laufen (marathonmäßig) oder versuchen, ein Stück
schwarz mit dem Bus zu fahren (peinlich, falls ich erwischt werde).
Was ist
denn bloß in Leo gefahren, mich einfach auszusetzen?
*
»Wo warst du?«, fragt Leo, als er
die Tür aufmacht.
»Wo warst du ?«, erwidere ich und gebe mir keine Mühe, die Tränen zurückzuhalten und
den hysterischen Unterton in meiner Stimme zu unterdrücken. »Ich bin fast den ganzen
Weg hierher gelaufen!«
»Warum das
denn?« Er bringt es tatsächlich fertig, mich frech anzugrinsen.
»Bist du
bescheuert?«, schreie ich. »Du bist mit meiner Handtasche abgehauen und sitzt schön
gemütlich zu Hause …«
»Ich … Ach
du Scheiße! Das tut mir leid! Ehrlich gesagt war ich sauer, dass du mich stundenlang
im Auto sitzen lassen hast, um mit irgendwelchen Pferdebauern zu quatschen. Dann
habe ich einen Anruf gekriegt und bin abgehauen. Du warst ja beschäftigt. Aber dass
deine Tasche im Auto …«
»Du bist
echt ein Arsch!«
Ich hasse
es, dass er die ganze Zeit total belustigt guckt. »Komm
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