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Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Herbsttagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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    »Meinetwegen«,
sagt er und weist auf die Fahrstühle. »Vierter Stock. Da sitzt der Chef persönlich.«
    Ich atme
auf, allerdings nur, bis ich oben aus dem Fahrstuhl trete. Dort baut sich nämlich
ein Zwei-Meter-Wachmann mit eng zusammenstehenden Augen und glänzender Glatze vor
mir auf. Er grinst mich fies an, als ich zu den Büros gehen will, und verschränkt
die Arme vor der Brust.
    »Langner,
Eike«, sagt er und mustert mich frech. »Alter 42, männlich, Beruf Zimmermann. Du
hältst dich wohl für sehr clever.«
    Scheiße,
die Kommunikation im Haus funktioniert sehr viel besser, als ich dachte.
    »Na, gut,
ich habe gelogen«, gebe ich zu. »Aber es ist nur, weil ich dringend meine Bewerbung
abgeben will und weil … Es ist viel besser, wenn man persönlich …«
    Er grinst
immer noch und drängt mich in den Fahrstuhl zurück.
    »Lassen
Sie das«, schimpfe ich. Dieser breitschultrige Blödmann kann mich doch nicht einfach
irgendwo hinschieben wie einen Umzugskarton. »Ich kann selber in den Fahrstuhl gehen.«
    »Dann marsch«,
befiehlt er. »Und lass dich hier nicht noch mal blicken!«
    »Ich werde
mich beschweren«, schreie ich verzweifelt. Ich war so nah am Ziel, direkt in der
Chefetage.
    »Was ist
hier los?«
    Aus dem
Nachbarfahrstuhl tritt in diesem Moment ein Mann – im perfekt sitzenden grauen Maßanzug,
einen todschicken Burberry-Mantel über dem Arm und einen edlen Aktenkoffer in der
Hand. Man müsste blind sein, um nicht den Chef der Firma zu erkennen.
    »Guten Morgen!«,
grüßt der Wachmann.
    Ich ergreife
die Gunst der Stunde und springe an dem unangenehmen Meister-Proper-Lookalike vorbei
– beinahe auf die blankpolierten Schuhe des Mannes, den ich unbedingt überzeugen
will, mit mir zu sprechen.
    »Diese junge
Dame …«
    »… hat versucht,
Ihr Büro aufzusuchen«, unterbreche ich. »Wurde jedoch ohne Grund mit körperlicher
Übermacht daran gehindert.«
    Jetzt mustern mich beide Männer – der eine wütend, der andere
interessiert.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragt der Chef. Er ist ein recht
attraktiver Mittvierziger mit leicht angegrauten Schläfen und hellblauen Augen,
die bis auf den Grund meiner Seele zu gucken scheinen.
    Ich beschließe spontan, dass meine Bewerbertarnung mich nicht
mehr weiterbringt.
    »Der Schweinestall!«, antworte ich also aufrichtig. »In Kletzin
… den Sie bauen wollen. Ich … ich habe Informationen und Dokumente, die von größter
Wichtigkeit für Sie sind.«
    »Sie hat eben noch behauptet, dass sie sich hier bewerben
will.«
    »Bitte«, sage ich, ignoriere den Wachmann so gut es geht und
lege all meinen Charme in meine Worte. »Nur einen Moment.«
    Ob ich ihn beeindrucken kann?
    »Kommen
Sie«, sagt der Chef-Typ, nachdem er mich ein weiteres Mal von oben bis unten gescannt
hat.
    Der Wachmann
macht ein langes Gesicht. Ich bin kurz davor, ihm die Zunge herauszustrecken.
    »Und entschuldigen
Sie das rüde Vorgehen unserer Security. Wir haben gute Gründe, wachsam zu sein.
Unsere Investitionen, so fortschrittlich und arbeitsmarktfördernd sie auch sein
mögen, werden in der Öffentlichkeit nicht durchweg positiv aufgenommen.«
    Ich folge
dem Chef in sein Vorzimmer, in dem ihm eine langbeinige Blondine den Mantel abnimmt
und fragt, ob sie etwas zu trinken bringen darf.
    »Kaffee?«,
fragt er mich. Um seine Lippen spielt ein leises Lächeln.
    Er sieht
wirklich ziemlich gut aus. Bis auf die stechenden Augen.
    »Gerne«,
antworte ich und entspanne mich leicht.
    Ob er wohl
der Typ Mensch ist, der sich durch einen uralten Tagebucheintrag von seinen Plänen
abbringen lässt?
    Ich bin
total nervös und frage mich, warum ich mich zu einer derartigen Wahnsinnstat hinreißen
lassen habe. Ich meine, er ist ein Immobilienhai. Der kommt, nach allem, was man
so hört, in Punkto Skrupellosigkeit gleich nach Militärputschanführer, vermute ich.
    Er bittet
mich in sein Büro.
    Ich nehme
auf einer bequemen Couch Platz und achte darauf, mich gerade hinzusetzen, um möglichst
seriös zu wirken.
    »Nun? Welcher
Art sind Ihre Dokumente?«, fragt er und setzt sich mir gegenüber auf einen Sessel.
    »Ich habe
etwas gefunden«, sage ich und öffne meine Handtasche. »Es … es ist ein sehr altes
Papier und es …«
    »Ihr Kaffee
bitte«, flötet die Sekretärin und stellt eine Tasse auf den Glastisch zwischen ihm
und mir. »Und Sie wünschen nichts, Herr von Oranienbaum?«
    Ha!
    Was … hat
sie gerade gesagt?
    »Sie …«
Mir rutscht ein hysterisches Quieken heraus. »Sie

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