Herbstvergessene
und ihr Leben in Kartons verpacken, einen Teil der Möbel behalten, den anderen Teil verkaufen oder abholen lassen. Und ich würde sofort damit beginnen.
In dieser Nacht bekam ich wieder Besuch, doch diesmal von Hanna, die wie verabredet viermal an meine Tür klopfte. Der Wind hatte aufgefrischt, rüttelte an meinem Mansardenfenster und scheuchte die Regentropfen in Schwaden gegen die Scheibe. In der Gaube unter dem Fenster hatte ich eine Kerze aufgestellt und Hanna und ich betrachteten den zuckenden Lichtschein vom Bett aus.
»Dieser verdammte Schuft, dieser Lügner, wie habe ich nur auf ihn hereinfallen können«, schluchzte Hanna.
»Er ist ein gut aussehender Mann, da passiert so was eben«, versuchte ich sie halbherzig zu trösten. Ich konnte an nichts anderes denken als an Paulchen und ob Sartorius tatsächlich versuchen würde, ihn mir wegzunehmen, wenn ich nicht tat, was er von mir verlangte. Und so hingen wir beide unseren Gedanken nach, die schniefende Hanna und ich. Ich hatte den Arm um sie gelegt und streichelte hin und wieder ihre Hand. Wir schwiegen und lauschten dem Regen, sahen die Tropfen am Fenster im Schein der Kerze zerstieben. Das Gebälk knackte und einen Moment lang hatte ich das Gefühl, auf einer Insel zu sein, mit Hanna, auf einem Adlerhorst an einem Felshang hoch über der Welt, den Unbilden der Natur ausgeliefert und unerreichbar, aber so nah am Abgrund, dass sich der tiefe Sturz jeden Moment ereignen konnte.
Da sagte Hanna: »Ich habe keine Angst vor ihm.«
Überrascht wandte ich den Kopf, betrachtete sie von der Seite, ihr weiches Profil mit der Himmelfahrtsnase, die etwas Kindliches an sich hatte, das runde Kinn, die leicht hervortretenden Puppenaugen, nun verquollen vom Weinen, der Mund, der so gern und leicht lachte und gewöhnlich kirschrot geschminkt war.
»Und du brauchst auch keine Angst vor ihm zu haben«, fuhr sie fort.
»Du bist gut. Wenn ich nicht tue, was er sagt, dann …«
»Nichts dann. Dazu wird es nicht kommen.«
»Was meinst du?«
»Ich habe eine Idee.«
»Was willst du denn tun?«
»Pass mal auf. Seine Frau ist ein ziemlicher Drachen. Ich werde ihm sagen, dass ich ihr alles erzählen werde, das von mir und von den anderen Frauen. Wenn er dich und Paulchen nicht in Ruhe lässt.«
»Glaubst du nicht, dass sie das längst alles weiß? Dass er sie betrügt, meine ich.«
»Ahnen tut sie’s sicher. Aber wissen? Er ist sehr diskret … wie du ja selbst gemerkt hast. Und wenn plötzlich jemand vor dir steht und behauptet, die Geliebte deines Ehemannes zu sein, na dann, gute Nacht!«
»Na ja.«
»Allerdings …«, sie senkte die Stimme und ich sah, dass es in ihrem Gesicht zuckte, »… müssen wir sehr vorsichtig sein. Denn er kann ziemlich unangenehm werden.«
»Das habe ich gemerkt.«
Sie drehte mir langsam das Gesicht zu. »Ich meine damit, dass er brutal werden kann. Wir sollten uns irgendwie absichern.«
»Absichern? Wie sollen wir das denn machen?«
»Wir sollten irgendwo etwas Schriftliches hinterlegen, bei einer Person, der wir vertrauen können.«
»Ich verstehe immer noch nicht.«
»Wenn ich ihm drohe, seiner Frau alles zu erzählen, dann könnte er versuchen, mich … einzuschüchtern.«
»Wie denn?«
»Nun sei doch nicht so schwer von Kapee, du meine Güte! Er könnte versuchen, mir etwas anzutun.«
Langsam begriff ich.
»Das traust du ihm zu?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht übertreibe ich maßlos.«
»Und du denkst, wenn wir ihm sagen, dass wir bei jemandem ein Schriftstück hinterlegt haben, das diese Person dann, falls dir … uns etwas passiert …« Ich wagte den Satz nicht auszuformulieren. Stattdessen sagte ich fast barsch: »Natürlich können wir das tun. Aber das hört sich für mich trotzdem sehr abenteuerlich an.«
»Für mich auch«, flüsterte Hanna, »für mich auch.«
»Bevor wir das tun, müssen wir ganz sichergehen. Dass das mit seiner Frau auch wirklich ein Druckmittel ist. Weißt du das bestimmt? Vielleicht ist es ihm ja auch herzlich egal, ob sie von seinen Weibergeschichten erfährt.«
»Seine Frau ist … nun … sie ist sehr reich. Stammt aus einer alten Bremer Kaufmannsfamilie. Und sie ist sehr eifersüchtig, zu Recht natürlich. Ich kann dir nur sagen, was er mir immer gesagt hat. Er kann sich im Moment noch nicht scheiden lassen, sie haben wohl so eine Art Ehevertrag geschlossen, durch den er bei einer Scheidung ziemlich leer ausgehen würde. Er hat mich vertröstet, immer wieder,
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