Herbstvergessene
hat mir gesagt, ich sei die Einzige, die große und wahre Liebe seines Lebens.« Hanna lachte auf, es war ein bitteres Lachen. »Er hat gesagt, er suche nach einer Lösung, alles sei nur noch eine Frage der Zeit.«
»Was wollte er denn da für eine Lösung finden? Wenn ihr alles gehört?«
»Ich … keine Ahnung, ich weiß es nicht. Er sprach jedenfalls davon, dass wir heiraten würden, nach dem Krieg. Ich wusste natürlich nicht, dass ich nur eine von vielen war.«
Sie holte tief Luft und sah mich an: »Wir werden das zusammen durchziehen.«
»Das willst du für mich tun?«
»Für dich … und für mich.«
Bei meiner Rückkehr in die Wohnung sah ich mit zitterndem Herzen auf den Anrufbeantworter und stellte bitter enttäuscht fest, dass das Lämpchen im Dauerlicht leuchtete. Dann hörte ich – ungefähr zum zehnten Mal – meine Mobilbox ab, doch auch hier hatte niemand eine Nachricht hinterlassen, die mein Leben in ein rosigeres Licht getaucht hätte. Dann holte ich einen Stapel Umzugskartons aus dem Keller. Als Nächstes rief ich eine Firma an, die Haushaltsauflösungen durchführte, und machte einen Termin für den übernächsten Tag aus. Auch einen Immobilienmakler rief ich an, der sofort hellhörig wurde, als ich ihm sagte, in welchem Viertel die Wohnung lag und dass es sich um ein Jugendstilhaus handelte. Dann begann ich, Bücher und Zeitschriften, die ich behalten wollte, einzupacken, und machte mich schließlich an die Aktenordner. Ich wusste nicht, wie lange man Steuerbelege aufbewahren musste, aber ich ging davon aus, dass diese Dokumente nicht länger als fünf Jahre benötigt wurden. Und so landeten fünfzehn Jahre alte Strom- und Gasabrechnungen rasch im Altpapierkorb. Dazu gesellten sich Garantiebescheinigungen von Geräten, die längst das Zeitliche gesegnet hatten, und uralte Kontoauszüge, die ich durch Mutters Aktenvernichter jagte. Angesichts des zunehmenden Stapels von leeren Leitzordnern fühlte ich mich zunehmend besser. Ja, das war der richtige Weg: aufräumen, sichten, Ordnung schaffen, entrümpeln, Altlasten vernichten, Luft und Raum schaffen! (Und was hätte zu dieser Arbeit besser gepasst als eine – eine einzige – Zigarette!)
Bei der Durchsicht der neueren Unterlagen hielt ich mich mit dem Vernichten zurück. Mir blieb wohl nichts anderesübrig, als diese Akten erst einmal mit nach Hause zu nehmen. Bei den aktuellen Kontoauszügen blieb ich schließlich hängen. Die Auszüge waren allesamt von einem Konto bei der Bank Austria in der Filiale Siebensterngasse. Sie waren nummeriert und komplett. Das Konto war erwartungsgemäß gut bestückt. Ich blätterte zurück zu den ersten Auszügen des Jahres und sah noch einmal alle durch. Sie waren, so wie es aussah, in Ordnung. Warum nur hatte ich dennoch das Gefühl, etwas übersehen zu haben? Schließlich klappte ich den Ordner zu und gähnte. Ich war müde, meine Augen brannten, auch die Kopfschmerzen waren wieder stärker geworden. Ich war gerade dabei aufzustehen, um nach den Tabletten zu suchen, als mir – völlig unvermittelt – klar wurde, was hier nicht stimmte. Die Bank. Wieso hatte Lore Klopstock meine Mutter in der
BAWAG
-Filiale in der Mariahilfer Straße gesehen? Ich versuchte mich zu erinnern, was genau Lore Klopstock mir von diesem letzten Treffen erzählt hatte, konnte mich aber nicht mehr an den Wortlaut erinnern. Hatte sie dort am Automaten Geld geholt? Wo sie doch ihre Bank quasi um die Ecke hatte. Vielleicht hatte sie etwas gesehen, was sie dringend kaufen wollte und das sie nicht mit Karte bezahlen konnte? Aber das hätte ich dann doch in den Auszügen sehen müssen. Noch einmal blätterte ich die Auszüge vom Dezember durch. Nichts. Keine Barauszahlung von einem Automaten in der Mariahilfer Straße. Vielleicht hatte sie dort ein Sparkonto. Aber hätte ich das nicht finden müssen? Mutter war, wie ich ja schon gewusst hatte und wie sich eben wieder einmal bestätigt hatte, in organisatorischen Dingen äußerst gewissenhaft gewesen. Und wenn es fünfzehn Jahre alte Stromabrechnungen gab, dann müsste doch ein aktuelles Sparbuch auch vorhanden sein. Es musste also einen anderen Grund für ihren Besuch bei jener Bank gegeben haben. Und plötzlich wusste ich, welchen.
Ich sprang auf und wäre fast über die Ordner gestolpert, die auf dem Boden ausgebreitet lagen, ich lief zum Sekretär undzog die oberste Schublade auf. Hastig wühlte ich darin herum. Und da war er, der braune Umschlag. Ich fingerte ihn
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