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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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eingeschlagenen Richtung und entschieden uns für einen Chardonnay, der im Kühlschrank stand und den ich noch ein paar Minuten ins Eisfach legte, bis ich ihn Roman brachte, der sich bereits vor dem Kamin niedergelassen hatte. Er öffnete den Wein, ich machte Feuer und war mir jede Sekunde seiner Gegenwart bewusst.
    Die nächste halbe Stunde verbrachte ich trinkend und lauschend. Romans Stimme klang weich an meinem Trommelfell und ich genoss die Geschichten, die er von sich, seiner Arbeit als Arzt und seiner Klinik erzählte; es waren traurige und lustige, er konnte wunderbar erzählen. Seine Worte lullten mich ein und ich vergaß alles um mich. Wir waren inzwischen bei der zweiten Flasche Chardonnay, als Roman sagte: »Ein schöner Raum. Überhaupt eine schöne Atmosphäre.« Er sah die hohe Fensterfront entlang, betrachtete die Teppiche, die Vitrinenschränke, den Kamin. Sein Blick verfing sich im Feuer, das vor sich hin knackte und knisterte.
    »Und was wirst du jetzt tun? Weitersuchen?«
    »Das ist leichter gesagt als getan«, sagte ich mit einem Schnauben. Grimmig dachte ich an den Verlag und das geheimnisvolle Manuskript, das einfach nicht an Land kommen wollte. »Aber lassen wir das. Und was steht bei dir an?«
    »Arbeiten. Mich endlich wieder vernünftig um meine Patienten kümmern. In den letzten Wochen war ich ein lausiger Arzt. Lausig durch Abwesenheit, nicht nur körperlich. Du hast mit deiner kleinen Scharade ins Schwarze getroffen. Weil es hätte passieren können.« Er beugte sich vor und schenkte mir Wein nach.
    »Hillary Farlow?« Ich lachte. »Ja, der war gut. Die arme Tracy, ich werde dir ein Geschenk für sie mitgeben. Eine kleine Wiedergutmachung. Wann fliegst du zurück?« Eigentlich hatte ich diese Frage nicht stellen wollen, nicht jetzt, nichtheute Abend, doch nun war sie heraus. Ich nahm mein Glas und trank mit großen Schlucken.
    »In den nächsten Tagen.«
    In meinem Kopf hallte es und plötzlich fühlte ich mich wild und trotzig. Ich war erfüllt von dem Wunsch, die Zeit anzuhalten, diesen Moment, diesen Abend in die Zukunft hin auszudehnen, so lange es ging. Ich nahm die Flasche aus dem Kühleimer, schenkte ihm und mir erneut nach. Als ich sie zurückstellte, knirschte und krachte das Eis. Ich trank mein Glas in einem Zug leer, und als ich Roman ansah, lag sein Blick auf mir wie eine brennende Hand.
    »Wir werden also beide wieder in unsere alten Leben schlüpfen. Als wäre nichts geschehen   …«
    Er schluckte und seine Stimme klang rau, als er sagte: »Geht das denn?«
    Und dann spürte ich plötzlich seinen Atem in meinem und seine Lippen auf mir und ich versank in einem Rausch, der nur zum Teil auf den vielen Alkohol zurückzuführen war. Irgendwann lagen meine Kleider verstreut im Zimmer herum. Ich erinnere mich an sein Gesicht dicht über mir und an seine Hände, die tastend über meinen Körper glitten. Das, was dann kam, blieb auf ewig in meinem Gedächtnis verschlossen. Das Einzige, woran ich mich später erinnerte, war die unglaubliche Übelkeit, die mich von einer Sekunde auf die andere überfiel, und wie ich plötzlich dasaß, die Hände auf den Mund gepresst, ein hilfloses Opfer meines vom Alkohol traktierten Körpers. Der ganze Wein und alles andere brach mit Gewalt aus mir heraus, begleitet von dem flehentlichen Wunsch, dass es ein Ende haben möge.

Als Hanna mich später fand, saß ich immer noch da, auf dem Bett, mit Paulchen im Arm, der inzwischen eingeschlafen war.
    »Ja, was ist denn mit dir los? Du musst ins Büro, Frau Berta hat schon zweimal nach dir gefragt.«
    Ich reagierte nicht.
    »Was hast du denn? Was ist passiert?« Hanna kniete sich vor mir hin, eine Hand auf Paulchen, die andere auf meiner Schulter.
    »Nun sag schon.«
    »Ich   …« Doch das Wort, das kam, war wie ein Krächzen. Ich räusperte mich. »Sartorius. Er will es der Zentrale melden. Und dann werden sie mir Paulchen wegnehmen. Sie haben doch die Vormundschaft.«
    Hanna sah mich entgeistert an. Sie sog scharf die Luft ein. »Das ist ja unglaublich. Das will er wirklich tun?«
    »Ja. Außer   …« Ich stockte.
    »Außer was?«
    »Er ist ein Schwein«, flüsterte ich und plötzlich war mir, als breche ein innerer Damm. »Er hat mich angefasst, dieses Schwein, ich will das nicht, er soll mich in Ruhe lassen, schon damals, im Sommer   … er hat mir   … an die Brust gefasst. Er soll mich in Ruhe lassen, verstehst du. Er hat doch andere   … und dich.«
    Hanna starrte mich an, mit halb

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