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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Hände vors Gesicht. »Zu schrecklich, zu schrecklich«, hörte ich mich plötzlich selbst flüstern und spürte die Tränen unter meinen Handflächen.
     
    Am nächsten Morgen hatte ich urplötzlich das Bedürfnis, Menschen zu sehen. Ich setzte mich ins Auto und fuhr, an einem Biscotto knabbernd, die eineinhalb Stunden nach Imperia. Ich ging in eine Bar, frühstückte im Sonnenschein und mit Blick aufs Meer, sah mir die roten und gelben Fassaden der Häuser an und machte mich dann auf, um Geld auszugeben. Ich, die ich die meiste Zeit in gedeckten Farben herumlief, kaufte ein weißes und ein rosafarbenes Leinenkleid mit hauchdünnen Trägern, weiße Tops und T-Shirts , eine weiße Hose, ebenfalls aus Leinen und mit einem verstellbaren Gummizug in der Taille, zwei Paar Riemchensandalen mit flachen Absätzen, ein Missoni-Tuch in allen erdenklichen Rottönen, das sich leuchtend vom Blütenweiß der anderen Kleider abhob, eine riesige Joan-Collins-Sonnenbrille und zwei breite Ledergürtel in Braun und Schwarz. Ich fühlte mich in Premierenstimmung. Es war das erste Mal, dass mir mein neu erworbener Wohlstand so recht bewusst geworden war. Die Gewissensbisse, die im Hintergrund leise mitschwangen, ignorierte ich. Als ich gegen Mittag ein Restaurant ansteuerte, hatte ich so viel Geld für Klamotten ausgegeben wie sonst im ganzen Jahr nicht. Alles war so geschnitten, dass ich die ersten Monate der Schwangerschaft bequem würde hineinwachsen können.
    Ich bestellte einen Crodino, ein Antipasto misto und Fisch, eine große Flasche Mineralwasser, kämpfte kurz mit mir und meinem inneren Schweinehund, der nach einem kalten Weißwein lechzte, blieb dann aber standhaft. Ich schloss die Augen, die Sonne lag warm auf meinem Gesicht und leuchtend orangehinter meinen Augäpfeln und auf einmal, völlig unverhofft, spürte ich, wie mich eine Welle des Glücks überflutete. Tränen traten mir in die Augen und ich blinzelte heftig und setzte rasch die neue Sonnenbrille auf. Ich würde ein ganz neues Leben beginnen, an einem anderen Ort, vielleicht sogar hier. Ich würde mir neue Showrooms einrichten und neue Freunde finden. Und dann käme das Kind. Und ich wäre zu zweit. Als ich gerade dabei war, meine Tüten noch einmal zu sichten, kam der Anruf.
    »Ja?«
    »Glöckler hier.«
    »Ach, hallo, Sie haben doch wohl nicht schon etwas herausgefunden?«
    Sie lachte. »Nun, ich hatte etwas Zeit und habe sie genutzt, mehr aus persönlicher denn aus beruflicher Neugierde. Passen Sie auf. Die Nummer auf der linken Seite gehört zu einem Fonds, den ihre Mutter eingerichtet hat.«
    »Ein   … Fonds? Was denn für ein Fonds?«
    »Das konnte ich nicht herausfinden. Nur dass er für wohltätige Zwecke eingerichtet wurde. Bei einer Schweizer Bank. Ihre Mutter hatte da wohl   … nun, wie soll ich sagen   … noch etwas Geld.«
    »Oh.«
    »Na ja, auf jeden Fall flossen Überweisungen von diesem Fonds auf verschiedene Konten, auffällig oft auf eines hier in Österreich   …«
    »Wozu denn das?«
    »Wie gesagt, ich habe keine Ahnung. Es sieht so aus, als hätten nur zwei Personen Zugriff auf diesen Fonds. Ihre Mutter selbst und   … Moment   … ach ja, hier steht’s   … ein gewisser Oskar Prohacek. Ich habe dann diesen Herrn Prohacek angerufen und ihn gebeten, mir – in Ihrem Namen und für Sie als Erbin   – Auskunft zu erteilen. Er war auch sehr hilfsbereit, das muss man sagen. Allerdings zeigte er sich ein wenig erstaunt, dass Sie nichts von dem Fonds gewusst haben. Er meinte, dashätte doch bei der Testamentseröffnung zur Sprache kommen müssen.«
    Der Kellner kam, stellte Crodino und Wasser und auch das Antipasto vor mich hin, ich nickte ihm kurz zu und wandte mich dann wieder dem Telefon zu.
    »Haben Sie denn unter dem Nachlass Ihrer Mutter gar nichts gefunden, das einen Hinweis auf Sinn und Zweck dieses Fonds gibt?«, wollte die Steuerberaterin wissen.
    »Seltsamerweise nein. Das Einzige, was ich besitze, ist diese Liste.«
    »Das ist in der Tat bemerkenswert. Normalerweise muss es da doch Formulare geben, Briefe, Kontostandsmitteilungen, was halt so an Korrespondenz bei der Verwaltung eines Kontos anfällt.«
    »Wie gesagt: Alles, was ich habe, ist diese Liste, die ich Ihnen gefaxt habe. Ich werde aber noch mal nachsehen.«
    »Wenn’s noch was gibt, was ich tun kann, melden Sie sich einfach.«
    »Das werd ich. Und erst mal vielen Dank!«
    »Gerne. Und einen schönen Urlaub noch. Ich beneide Sie.«
    »Sie werden’s nicht

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