Herbstvergessene
verbissen weiterschwieg,seufzte er erneut und seine Stimme klang resigniert, als er sagte: »Dann muss es wohl ein Unfall gewesen sein.«
Doch wir wussten beide, dass er
das
nicht hatte sagen wollen.
Nach dem Telefonat mit Wolf kroch ich wieder unter die Katzendecke und sah ins graue Morgenlicht hinaus. Mein Kopf dröhnte noch immer und ich war schon versucht, mich zu fragen, ob Erna Buchholtz mir vielleicht K.-o.-Tropfen oder ein Schlafmittel in den Tee gemischt hatte, als ich den Schlüssel im Haustürschloss hörte. Kurz darauf knarzten Schritte auf dem Parkett, ich stellte mich schlafend, die Schritte verstummten an meiner Schwelle. Ich wartete, doch niemand regte sich und ich wollte auch nicht zu erkennen geben, dass ich längst wach war. Aus irgendeinem Grund hatte ich plötzlich ein eigenartiges Gefühl, und der Gedanke, es könnte jemand anders als Erna dort in der Tür stehen und mich beobachten, ließ Panik in mir aufsteigen. Mein Kopf fuhr hoch und ich starrte direkt in Erna Buchholtz’ Schwarzkirschenblick. Da stand sie, in einem braunen Fellhut und einem ebensolchen Mantel, mit einer Bäckertüte in der Hand, und sah mich an.
»Sie sehen besser aus. Haben Sie durchgeschlafen? Es gibt nichts Erholsameres und nichts Heilsameres als den Schlaf. Leider stellt der sich in meinem Alter nicht mehr so ohne Weiteres ein. Das ging Lilli auch nicht anders.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie mit ihr per Du waren.«
»Oh, wir waren nicht per Du. Wir haben uns mit Vornamen angesprochen und dabei gesiezt. Auch sie war keine Freundin von voreiligen Verbrüderungen.«
»Wie lange kannten Sie sich denn?«
»Lassen Sie mich nachdenken, das müssten jetzt zwölf, nein dreizehn Jahre sein. Seitdem ich hier eingezogen bin.«
Sie nahm die Tüte in die andere Hand, dabei knisterte es verheißungsvoll nach Frühstück und Kaffee, und setzte den Hut ab. Dann fuhr sie fort: »Heutzutage sind die Leute ja mitallem ziemlich schnell bei der Sache. Aber davon haben wir beide nichts gehalten. Dieses alberne Getue mit Herzerl hier und Busserl da, wir haben uns da manchmal gehörig amüsiert. Sie konnte so herrlich persiflieren, Ihre Frau Mutter. Und natürlich auch erzählen, sie hat ja so einiges erlebt.«
Da waren wir wieder beim Thema, dachte ich. Mutter, die Anekdoten aus dem Dolmetscherdasein zum Besten gab.
Auf höchster Ebene
, das verstand sich. Doch sofort fühlte ich mich schäbig. Wie konnte ich jetzt noch so über sie denken! Andererseits, sollte man jemanden heiligsprechen, nur weil er tot war? Mit einem Ruck richtete ich mich auf, Erna hielt die Tüte hoch und kündigte an: »Ich mach jetzt Frühstück. Sie trinken doch einen Kaffee?«
Ich nickte, erleichtert, dass Erna nichts von meinen niedrigen Gedanken gelesen hatte.
»Ich habe Ihnen frische Handtücher ins Bad gelegt.«
Ich nickte. »Danke.« Und als Erna sich zum Gehen anschickte, fügte ich hinzu: »Für alles hier … danke.«
Ihr Kirschblick wurde wieder weicher, dann drehte sie sich um und nahm Kurs auf die Garderobe, wo ich sie mit einem Bügel hantieren hörte.
Erna Buchholtz’ Küche war geradezu prädestiniert dafür, in einem freundlichen Gelbton gestrichen zu werden, um so die Wirkung der Morgensonne zu verstärken und ein wahres Meer an Farbe zu erzeugen. Die Wohnküche ging nach Osten hinaus, auf ein riesiges Gartenkarree, das von einer Häuserwand umgeben war. Eine Terrassentür führte in Ernas recht großen, von einer Buchenhecke umsäumten Gartenanteil. Vor der Tür standen zwei Näpfe, ein roter und ein blauer, im einen war Wasser, der andere war leer.
Bei meinem Eintreten klopfte Erna auf ein Tischset und bedeutete mir, Platz zu nehmen. Sie schenkte mir Kaffee ein und sagte: »Ach ja, eh ich’s noch vergess: Dieser Polizist, wie hieß der noch?«
»Cincek?«
»Ja, der hat gestern Nachmittag angerufen, bei mir … weil ihr Handy war wohl gerade aus. Sie haben die Leiche schon freigegeben. Sie sollen halt die Sachen bei ihm abholen, die Hausschlüssel und Lillis Schmuck … den Ring, den sie am Finger trug.«
Ich nickte und klammerte mich an meiner Tasse fest. Die Liste mit den Erledigungen fiel mir ein, die Beerdigung und alles andere, was es in solchen Fällen zu organisieren gab. Es wurde langsam Zeit, dass ich das alles endlich in Angriff nahm.
Erna griff in den Brötchenkorb, nahm eines, schnitt es auf und reichte es mir. Dann fragte sie: »Wo … werden Sie sie denn beisetzen lassen?«
Darüber hatte
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