Herbstvergessene
Kittel aufzuknöpfen und nach ihren Brüsten zu tasten. Sein Knie drängte ihre Beine auseinander. Die Frau hatte den Kopf zurückgelegt, gegen die Wand. Wie vom Donner gerührt blieb ich stehen und sah ihnen zu. Dann drehte ich mich um, völlig lautlos berührten meine Füße den Steinboden, lautlos trat ich den Rückzug an und stand schließlich wieder vor der verschlossenen Zimmertür, hinter der sich die verrückte Frau Edelmann verbarrikadiert hatte.
Am Ende klopfte ich an die Tür links neben der unseren. Zwei Frauen erschienen, eine hübsche Blondine, wohl um die zwanzig, und eine derbere Braunhaarige, vielleicht dreißig, die mich fragend ansahen. Etwas stockend trug ich mein Anliegen vor, dochstatt mir den Weg zum Zimmer der Oberschwester zu zeigen, näherte sich die braunhaarige, patent aussehende Frau der Tür zu meinem Zimmer und legte die Hand auf die Klinke. Ich weiß noch, wie ich ihr zusah, als sie die Klinke herunterdrückte und die Tür öffnete, einfach so, wobei sie mir mit leisem Bedauern zulächelte, als täte es ihr leid, dass die Tür nicht verschlossen war.
Ich weiß nicht mehr, was genau ich dachte in jener Nacht. Stunde um Stunde lag ich wach und lauschte dem Schnarchen von Frau Edelmann, bis endlich der Morgen dämmerte und ich in einen erschöpften Schlaf sank.
Schließlich erwachte ich davon, wie Frau Edelmann geräuschvoll das Zimmer durchschritt, sich geräuschvoll anzog, geräuschvoll das Fenster öffnete, schloss und wieder öffnete. Bis zu jenem Morgen hatte ich nicht geahnt, wie viel Lärm man machen konnte beim Öffnen und Schließen von Schranktüren, beim Verrücken eines Stuhls, beim Herumwühlen in einer Schublade, sogar beim Lüften des Zimmers. Und dabei murmelte sie unablässig vor sich hin, wobei ich glaubte, Worte wie »Unverschämtheit« und »Schande« aus ihrem Gebrabbel herauszuhören.
Im grauen Licht des Morgens war die Beklemmung, die ich in der Nacht empfunden hatte, versickert, aber noch nicht ganz verschwunden. Seit ich denken kann, hat die Nüchternheit des Morgens mir Ruhe und Zuversicht gegeben.
Mit den Dämonen der Nacht habe ich erst später umzugehen gelernt – wie man sie austrickst mit einem Buch, mit Musik oder einer Strickarbeit. Noch besser ging es mit meinem Mann an meiner Seite, dessen rhythmisches Schnarchen sie draußen vor der Tür hielt.
Das Geschehene rückte beim Anhören dieses wirklichkeitssatten Geräuschs in weite Ferne wie ein schrecklicher Film, den man einmal gesehen hat, vor langer Zeit. Doch als ich vor einigen Wochen begonnen habe, diese Geschichte niederzuschreiben, habe ich erkennen müssen, dass sie nicht verschwunden waren, die Dämonen. Sie haben sich nicht in Luft aufgelöst. Sie haben nur geschlafen,all die Jahre, an einem geheimen Ort meiner Seele, von dem ich nicht wusste, dass er existiert.
Taten kann man nicht ungeschehen machen, Worte nicht ungesagt. Doch meine Hoffnung konzentriert sich nun darauf, dass die Dämonen, wenn ich die Tür öffne und sie herauslasse, sich einfach verflüchtigen, dass ein Windstoß kommt und sie hinwegfegt in einen fernen Himmel, wo sie zu Staub zerfallen.
Vor meiner Abreise am nächsten Tag durchsuchte ich Mutters Keller, den ich bisher nicht weiter beachtet hatte. Vielleicht lag Omas Manuskript gut verstaut in einem der Kartons oder Kisten, die dort unten gestapelt waren. Ich ging dabei chronologisch vor, begann mit den Kartons an der Kellertür und arbeitete mich dann systematisch bis zum Fenster durch. Ein bisschen lächerlich kam ich mir vor, wie Miss Marple oder eine Frau, die zu viele Räuberpistolen gelesen hat. Oder wie jemand, der unbedingt eine Entschuldigung für die eigenen Versäumnisse sucht.
Zwischendurch rief ich ein paarmal bei Lore Klopstock an und ärgerte mich, dass sie nicht abnahm oder nicht zu Hause war, nachdem sie es doch am Vortag so wichtig gehabt hatte. Ich überlegte kurz, ob ich auf dem Weg zum Flughafen bei ihr vorbeischauen sollte, doch dann sah ich mich selbst in der U-Bahn stehen, mit der Reisetasche und einer großen Papiertüte, und so verwarf ich den Gedanken. Ich würde sie eben von Deutschland aus anrufen.
Als ich alles, aber auch wirklich alles gesichtet hatte, nahm ich mir vor, demnächst nach Lindau zu fahren und dort auf dem Dachboden von Oma Charlottes Haus nach dem geheimnisvollen Dokument zu suchen. Ich machte mir keine großen Hoffnungen, aber es war das Einzige, was mir noch einfiel. Warum hätte Mutter diesen umständlichen
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