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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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mit besorgtem Ausdruck entgegensah, der sich jedoch bei meinem Anblick sofort zu einem Lächeln auflöste. Ich lächelte zurück, den Zeigefinger an die Lippen gelegt, und bedeutete ihr mit der anderen Hand einzutreten. Begleitet von Lore Klopstocks Stimme, die etwas heiser und gleichzeitig wichtigtuerisch klang, schob ich Erna ins Wohnzimmer. Irgendwie knackte es in der Leitung.
    »Hallooo? Frau Sternberg? Wenn Sie da sein sollten, was ich hoffe, dann nehmen Sie doch bitte mal ab   … Hallooo? Also sind Sie nicht da? Dann bitte ich Sie um Rückruf, wenn Sie das hier abhören, ja? Bitte rufen Sie mich an. Mir ist etwas eingefallen, vielleicht es es ja gar nicht wichtig, wahrscheinlich sogar nicht, aber egal. Rufen Sie an.«
    Dieser Plapperton, dachte ich, nachdem Lores Stimme verklungen war, und ging zu Erna, die mich mit gerunzelter Stirn begrüßte: »Ich mag sie nicht, die alte Ratschkattel. Immer hat sie’s so wichtig mit irgendwas   …«
    »Sie kennen Sie?«
    »Aber ja. Ich war ein paarmal mit den beiden im Burgtheater, mit Ihrer Mutter und der Klopstock. Da ist sie mir schon gehörig auf die Nerven gegangen, wenn ich das einmal sagen darf. Irgendwann hatte ich dann einfach keine Lust mehr. Aber jetzt lassen wir das   … Ich bin gekommen, um zu sehen, wie’s dem Madel geht.«
    Ich lachte. »Ab einem gewissen Alter empfindet man es alsäußerst schmeichelhaft, als Madel bezeichnet zu werden. Aber hier ist es so kalt, ich dreh erst mal die Heizung hoch.«
    »Lassen Sie’s nur. Wegen mir nicht. Ich bin gleich wieder weg.«
    Doch ich ignorierte ihre Worte und nötigte ihr einen Likör auf, und so saßen wir beieinander, redeten und aus irgendeinem Grund erzählte ich ihr von den Briefen, die ich geschrieben hatte und auf deren Beantwortung ich wartete. Und von Roman Sartorius. Seine Wirkung auf mich verschwieg ich allerdings.
    »Was haben Sie denn nun vor?«, fragte Erna.
    »Ich werd halt weiter warten«, seufzte ich. »Und erst mal Weihnachten feiern. Und versuchen, bis zum neuen Jahr an nichts anderes zu denken.«
    Sie nickte. »Ja. Das sollten wir wohl alle.«
    »Wo werden Sie feiern?«, fragte ich und bereute es im selben Moment, als ich sah, dass sich ein Schatten auf Ernas Gesicht legte und sie den Blick auf einen Punkt irgendwo an der Wand gerichtet hielt.
    »Na, ich werd mir ein Baumerl kaufen und es mir hier gemütlich machen.«
    Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte, vielleicht hätte ich sie fragen können, ob sie denn keine Kinder hatte oder eine Schwester oder sonst irgendwen, mit dem sie Heiligabend verbringen konnte. Doch das wäre mir taktlos vorgekommen. Und so erhob ich mich und holte die Katzenwärmflasche, die ich inzwischen in blau-weißes Sternenpapier gewickelt hatte, und reichte sie Erna, die ebenfalls aufstand.
    Sie streckte die Hand aus, ein wenig zögerlich, als könne sie gar nicht glauben, dass ich
ihr
etwas schenken wollte.
    In der Tür drückte ich sie kurz an mich, dann drehte ich mich um, schloss die Tür und hörte, wie sie die Treppe hinunterging, wie ihre Tritte leiser wurden und schließlich ganz verklangen.
     
    Erschöpft von diesem Nachmittag voller Gespräche sank ich nach einem heißen Bad ins Bett, ohne Lore Klopstocks Anruf zu erwidern. Der alte mechanische Wecker auf Mutters Nachttisch zerhackte die Zeit. Morgen ist auch noch ein Tag, dachte ich, und ahnte nicht, dass das diesmal nicht ganz stimmte.

 
    Vor Schreck wäre ich fast nach hinten umgekippt, ein heiserer Schrei entfuhr meiner Kehle. Diese Verrückte kauerte auf der anderen Seite der Tür und starrte durchs Schlüsselloch! Barfuß, wie ich war – meine Schuhe hatte ich im Zimmer gelassen   –, stolperte ich los. Die Oberschwester musste mir ein anderes Zimmer geben. Aber wo konnte ich sie finden, wo lag noch mal das Büro, war das nicht einen Stock höher gewesen? Und wo war die Treppe? Am Ende des Korridors öffnete ich zwei Türen, eine davon war verschlossen, die andere führte in eine Besenkammer, in der Eimer und Putzmittel herumstanden. Durch die dritte kam ich endlich in das Treppenhaus, das ich schon kannte. Auch hier Stille. Langsam stieg ich die Stufen hoch, meine bloßen Füße waren eiskalt und tappten lautlos nach oben. Und so hörten sie mich auch nicht kommen, der Mann und die Frau in Schwesterntracht, die auf dem oberen Treppenabsatz standen. Der Mann verdeckte die Frau fast ganz, hatte sie an die Wand gedrängt und küsste ihren Hals. Mit einer Hand war er dabei, ihr den

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