Herbstvergessene
verwaschenes Licht. Doch durch die Fenster an beiden Giebelseiten drang genug Helligkeit, sodass ich – zumindest solange es Tag war – alles würde sehen können, was es zu sehen gäbe.
Die ersten Kartons waren voller Bücher. Die Rücken und auch die Titel kamen mir vertraut vor, alte Büchergilde-Ausgaben, Knut Hamsuns
Gedämpftes Saitenspiel
, Ina Seidels
Wunschkind
, Daphne du Mauriers
Rebecca
. Dann neuere Werke, in buntem Schutzumschlag, die
Spandauer Tagebücher
, die Ostpreußen-Romane von Christine Brückner. Und schließlich alte Ausgaben des
Ostpreußenblatts
. Ob das überhaupt noch verlegt wurde? Jetzt war ich beim Porzellan angelangt. Winzige Sammeltässchen, handsigniert und nummeriert, die sicher einiges wert waren. Bernsteinketten, die sie so gut wie nie getragen hatte. Überhaupt hatte Oma, soweit ich mich erinnerte, kaum Schmuck getragen, nur ihre Armbanduhr ums Handgelenk und ihren Ehering.
Es war gegen eins, als mein Mobiltelefon klingelte.
»Sternberg.«
»Hallo, Kind! Gut, dass ich Sie endlich erreiche.«
»Erna, das ist aber eine schöne Überraschung!«
»Na, hören S’ lieber erst mal, warum ich anrufe.«
Ich spürte, wie Beklemmung in mir aufstieg, und wartete schweigend und furchtsam auf das, was sie zu sagen hatte.
»Die Lore Klopstock ist tot.«
Der erste Tag in Hohehorst ist mir nur in vager Erinnerung. In meinem Kopf sehe ich ein Kaleidoskop der Bilder: den Frühstücksraum mit seiner Bogendecke; die Gesichter zweier Frauen an meinem Tisch, zu denen ich keine Namen mehr habe; das ermutigende Lächeln der jungen Ärztin, die mich untersuchte und mir sagte, dass alles gut werden würde. Ich weiß noch, wie ich die wenigen Habseligkeiten aus meiner Reisetasche in einen Schrank räumte, und dass ich eine Weile lang tränenblind dort herumstand und das Sternenbild in meinen Händen hielt.
Die erste Woche lief ich wie traumwandlerisch durch die Tage. Ich hielt Distanz zu allen, versah den Küchendienst mit einer zerstreuten Aufmerksamkeit und registrierte mit einem leisen Erstaunen, wie meine Hände Kartoffeln schälten, sauber und akkurat, während ich im Geiste Pauls Gesicht vor mir sah, an jenem letzten Tag in der Mahler’schen Wohnung, bevor er verschwand. Ich machte lange Spaziergänge im Park, saß auf einer Bank am See, spürte den Wind im Gesicht und sah seinem Spiel mit den Wellen zu. Und manchmal träumte ich davon, wie es wäre zurückzukehren. Und wieder ein Zuhause zu haben. An den Abenden saß ich in der Bibliothek und schrieb Briefe an Leni, in denen ich ihr alles gestand und sie um Verzeihung bat und die ich später allesamt in kleine Fetzen zerriss und auf mehrere Papierkörbe verteilte. Erst spät ging ich zurück aufs Zimmer und ignorierte Frau Edelmann, so gut es ging. Ein paarmal hatte ich das Gefühl, dass sie mich aus den Augenwinkeln beobachtete, und einmal war ich mir fast sicher, dass jemand in meinen Sachen gekramt hatte. Einige Tage beschäftigte mich die Frage, ob sie Pauls Bild gefunden hatte. Und wenn ja, ob sie daraus irgendwelche Rückschlüsse ziehen konnte.In vielen Nächten lag ich lange wach, lauschte ihrem Schnarchen und spürte unter meinen Händen das Kind, das in meinem Bauch heranwuchs. Die Einsamkeit sponn ihren Kokon um mich und ich versuchte mir vorzustellen, wie es sein würde, nicht mehr allein zu sein. Sondern Pauls Kind in meinen Armen zu wiegen.
Zwei Wochen nach meiner Ankunft setzten bei Frau Edelmann die Wehen ein und sie verschwand von der Bildfläche, als habe es sie nie gegeben. Die Oberschwester blinzelte mir zu und sagte, dass ich »das« ja nun überstanden hätte und bald eine andere Zimmergenossin bekäme, einen Neuzugang, der für die nächste Woche erwartet wurde.
An einem Montag, der nach Frühling und Hoffnung duftete, bat eine Schwester mich, nach oben in das Sprechzimmer des Belegarztes zu kommen, eine Routineuntersuchung. Ich hatte Dr. Sartorius bisher noch nicht kennengelernt, was vielleicht an meinen ausgedehnten Aufenthalten im Park lag. Und so schleppte ich mich die Treppen hinauf, den Korridor entlang. Die Zimmertür stand offen, ich bog um die Ecke und da stand er, über einen Schreibtisch gebeugt, mit dem Rücken zu mir, und ich wusste sofort, dass er es war: der Mann, den ich an meinem ersten Abend gesehen hatte, im Treppenhaus, der Mann, der die Schwester geküsst hatte.
Von der Fahrt zurück nach Hause wusste ich später nicht mehr viel. Das Einzige, was mir davon in Erinnerung geblieben
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