Herbstwald
im Sommer gewesen war. Aber die Scheiben im Hintergrund waren nur teilweise beschlagen gewesen, was vermutlich für Frühling oder Herbst sprach.
Er entschied sich, am nächsten Tag bei den Nachtwächtern zu fragen, ob es diese Einlassbücher gab, und dann wollte er sie nach ihrem Namen durchsehen. Vielleicht hatte er Glück und sie war nicht über Nacht bei dem Kameramann geblieben, sondern mit ihm zu sich nach Hause gegangen.
Maria Gruber war die Frau, die alles wusste. Davídsson saß ihr in dem Besprechungszimmer gegenüber. Der Schlangenkronleuchter gab ein kaltes Licht ab, während vor dem Fenster wuchtige Wolken vor einem blauen Himmel vorbeizogen. Der Wind hatte ihnen eine weiche Form gegeben, die nicht zu der Größe passte.
Davídsson hatte in der Nacht kaum geschlafen. Die Matratze war zu weich für einen Seitenschläfer. Er sank zu tief ein und das gab ihm das Gefühl, zu ertrinken.
»Ist das die Akte über Catharina Aigner?«
Maria Gruber war nervös. Sie blätterte den Ordner durch, als müsste sie sich eine neue Ordnung für die Papiere darin ausdenken.
»Ich war damals noch nicht hier.«
»Aber das ist die Akte?«
»Ja.«
»Haben Sie sie gelesen?«
»Ja, gestern.«
»Gut. Dann erzählen Sie mir, was drinsteht.« Ólafur Davídsson war alleine mit ihr im Besprechungsraum. Lilian Landhäuser unterhielt sich mit dem Hausmeister. Davídsson hatte ihren Bericht über die Befragung von Moser gelesen. Er war gut und detailliert.
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
»War Sie mal bei Ihnen?«
»Ja.«
»Erzählen Sie mir von Ihrem Eindruck.«
»Sie war flippig.« Die junge Frau sah ihn an, als hätte sie gerade eine umfassende Beschreibung von Catharina Aigner abgegeben. Sie wollte weg. Ólafur Davídsson sah es an ihrem gesamten Äußeren. Ihre Haltung sprach Bände, ihr Gesichtsausdruck verriet es, ihre Augen ebenfalls.
»Wie machte sich das bemerkbar?«
Sie sah von der Akte auf. Er konnte das Bild von Catharina Aigner erkennen, obwohl es auf dem Kopf lag.
»Sie trug … merkwürdige Sachen.«
»War sie nett?«
»Ja.«
»Hat sie Ihnen Schwierigkeiten gemacht? Die Miete nicht gezahlt oder so?«
»Ich glaube nicht, dass sie die drei Gebete gesprochen hat.« Maria Gruber lächelte verkrampft.
»Ja. Vielleicht nicht.«
»Sonst hat sie immer alles bezahlt.«
»Also gab es keine Probleme mit ihr?«
»Nein.« Sie klappte die Akte zu.
»Warum wurde sie in die Fuggerei aufgenommen?«
»Sie wurde von den drei Stifterfamilien ausgewählt.«
»Warum?«
»Sie war bedürftig.«
»Und?«
»Wir prüfen das nicht. Das macht das Sozialamt.«
»Und dann?«
»Sie ist vor ziemlich genau drei Jahren eingezogen. Wir haben ihr dabei geholfen, Möbel bei einem Gebrauchtwarenladen zu kaufen, mit dem wir zusammenarbeiten. Dort gibt es Möbel von Wohnungsauflösungen.«
»Gut. Was hat sie gearbeitet?«
»Sie war Journalistin, steht in der Akte.«
»Aber sie hat nicht mehr gearbeitet, oder?«
»Ich glaube nicht. Als Journalistin hätte sie wohl auch so viel verdient, dass sie hier nicht mehr hätte wohnen müssen.«
»Vermutlich. Steht in ihrer Akte auch, warum sie bedürftig wurde?«
»Hier steht, dass sie drogensüchtig war, bevor sie hier eingezogen ist.«
»Aber hier kam es zu keinem Drogenkonsum?«
»Nicht, dass ich wüsste. Hier wohnen anständige Leute und keine Verbrecher.«
Davídsson wollte etwas dazu sagen, ließ es aber sein. Die Wolken hatten mittlerweile den ganzen Himmel bedeckt. Der Raum wirkte noch dunkler und abweisender als sonst.
»War hier mal die Polizei wegen ihr?«
»Nein!«
»Steht in der Akte auch, wer einen Schlüssel zu der Wohnung hatte?«
»Sie hatte einen.«
»Nur Frau Aigner?«
Maria Gruber blätterte die Akte durch, ohne sich die Seiten genauer anzusehen.
»Ja«, sagte sie schließlich.
»Und was ist mit Moser?« Davídsson stellte die Frage absichtlich so ungenau wie möglich. Er wollte keine einsilbigen Antworten mehr.
»Er hatte keinen Schlüssel, wenn Sie das meinen.«
»Wie war das Verhältnis zwischen den beiden?«
»Das weiß ich nicht. Sie kamen beide nicht besonders oft hier vorbei.«
Davídsson seufzte leise. Er dachte an die vielen Vernehmungen von Zeugen. Die einen redeten wie Wasserfälle und man konnte gar nicht alle Details behalten, ohne sich Notizen zu machen, und die anderen sagten nichts. Manche schafften es auch, mit vielen Worten nichts zu sagen, aber zu dieser Kategorie zählte Maria Gruber nicht.
Warum kann es kein
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