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Herbstwald

Herbstwald

Titel: Herbstwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Guzewicz
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Mittelmaß geben, dachte er.
    Er rückte seinen Stuhl näher an ihren heran, ohne dabei eine bedrohliche Nähe zu erreichen. Er wollte nur ihre Aufmerksamkeit.
    »Frau Gruber, Sie waren doch etwa im gleichen Alter wie Catharina Aigner. Da muss es doch Dinge geben, über die man sich unterhält.« Davídsson dachte daran, was Moser über das Opfer gesagt hatte. Dass sie eine Freundin suchte, die sie hier offensichtlich nicht gefunden hatte.
    »Sie war so, wie ich immer sein wollte«, antwortete Maria Gruber nach einer langen Pause. »Sie war nicht verklemmt. Sie war frei, obwohl sie so viele Schulden hatte. Sie war irgendwie … lebendig.«
    »Haben Sie ihr das gesagt?«
    Maria Gruber wurde rot. Er sah es, obwohl ein tiefer Schatten über ihrem Gesicht lag.
    »Ich wäre gerne mit ihr befreundet gewesen …«
    »Aber es gab keine Gelegenheit dafür«, sagte Davídsson, der wusste, dass sie nicht den Mut aufgebracht hatte, es Catharina Aigner zu sagen.
    »Ich war zu schüchtern. Jetzt ist es zu spät. Sie ist tot.« Sie schluchzte. Über ihre Wangen liefen Tränen der Einsamkeit und der verlorenen Hoffnung. Sie wischte sich ein paarmal mit dem Handrücken über das Gesicht.
    Davídsson sah einen Ring an ihrer linken Hand, aber er glaubte nicht, dass es ein Freundschaftsring war oder dass er sogar für mehr stand.
    Er war versucht, die Situation auszunutzen.
    Er wusste, dass sie ihm jetzt alle Antworten auf seine Fragen geben würde. In einem solchen Moment waren die Menschen angreifbar und verletzlich. Aber sie tat ihm auch leid, und er holte stattdessen ein sauberes Taschentuch hervor, das er ihr hinstreckte.
    Antworten konnte er auch später noch finden.

    Er war der Einzige, der im Biergarten in der Neuen Gasse saß. Zu dem Fuggerei-Lädle gehörte neben dem Biergarten auch ein kleines Café, in dem ein paar ältere Damen Karten spielten.
    Der Himmel war für einen Moment aufgeklart und zeichnete jetzt scharfe Kontraste. Die ockerfarbenen Fassaden hoben sich deutlich von den anderen Konturen ab.
    Davídsson liebte den Herbst und seine klaren Kanten und Formen. Es erinnerte ihn an seine isländische Heimat, wo Farben eine wichtige Rolle spielten. Im Herbst waren die Farben am schönsten und intensivsten.
    Er dachte an den Jökulsárlón, an dessen Ufer er auf seinen Fahrten nach Höfn vorbeigefahren war. Die Luft roch im Herbst am würzigsten und das angespülte Treibeis spielte mit dem Herbstlicht. Die frisch von der Gletscherzunge Breiðamerkurjökull abgebrochenen Eisblöcke waren dann leuchtend blau, weil sie frei von Lufteinschlüssen waren und nur den blauen Anteil des Lichts reflektierten. Später, wenn Luft ins Eis eingedrungen war und die durchsichtigen Eisblöcke wie kantige Kristallstückchen auf der pechschwarzen vulkanischen Asche des Vatnajökull lagen, brach sich dann das ganze Spektrum des Lichts in der Abendsonne.
    Er lehnte sich zurück und schloss die Augen für einen Moment. Die Müdigkeit saß ihm noch in den Knochen und die lange Autofahrt auch.
    Die Siedlung war an diesem Tag menschenleer. Offenbar hatte die Presse noch nichts von der Toten in der Fuggerei erfahren, aber Davídsson wusste, dass dies früher oder später geschehen würde und dass es dann für lange Zeit vorbei war mit der Ruhe für die Bewohner, die Administration, die Fürstenfamilien, die Polizei und auch für ihn. Gerade bei einer Touristenattraktion wie der Fuggerei war ein großes Medieninteresse vorprogrammiert. Vermutlich war die Lawine nicht mehr aufzuhalten, wenn sie einmal losgetreten worden war. Vielleicht würden sogar die überregionalen Medien über den Fall berichten, obwohl die Fürstenfamilien sicher versuchen würden, dies mit ihrem Einfluss zu verhindern.
    Ólafur Davídsson wusste noch nicht einmal, wie die Zeitungen aus der Region hießen, aber er war sich sicher, dass sich das bald ändern würde.
    Noch vermittelte die Fuggerei eine gewisse Ruhe und Ausgeglichenheit. Beinahe wie ein idyllisches Dorf inmitten einer tosenden Brandung, von der man hier kaum etwas mitbekam.
    Er hatte Angst davor.
    Angst, diese Ruhe zu verlieren, und Angst davor, dass die Medien besser waren als er. Er hatte bei seinem letzten Fall schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht, und er wusste, wozu die Journalistenmeute in der Lage war.
    Sie konnten Menschen verändern – sie in eine Hysterie versetzen oder ihre Gedanken manipulieren. Davor waren nicht einmal die Herren in den oberen Etagen des Bundeskriminalamtes gefeit. Sie

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