Herbstwald
Fuggerei bewilligt.«
»War das so ungewöhnlich?« Davídsson warf einen kurzen Blick auf den glänzenden Granitfußboden, in dem sich die Halogenspots spiegelten, die entlang der Wände in die Decke eingelassen worden waren. Er fühlte sich wie ein Fremdkörper in einer keimfreien Wohnung mit Möbelhauscharme. Es war nicht so, dass er sich nicht mit klaren Linien und schlichten Einrichtungsstilen anfreunden konnte, aber diese Umgebung erinnerte ihn an die Kälte, die man in Operationssälen spürte, bevor die Narkose wirkte.
»Nun ja, ich war damals schon Behördenleiter, und normalerweise fällt diese Entscheidung der zuständige Sachbearbeiter oder in Widerspruchsfällen der Sachgebietsleiter. Vermutlich kann ich mich deshalb noch so gut an diesen Fall erinnern.«
»Wissen Sie noch, warum Sie diese Entscheidung getroffen haben und nicht die Sachbearbeitungsebene?«
»Eigentlich darf ich darüber nicht sprechen, aber ich denke, das gilt nicht dem Bundeskriminalamt gegenüber.« Reichert verstummte für eine Weile. Es schien, als würde er seine Entscheidung abwägen.
Davídsson sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen. Jegliche Aufforderung von ihm könnte das Gegenteil von dem bewirken, was er eigentlich erreichen wollte.
»Ihre Kollegen von der Polizei sind damals auf mich zugegangen und haben mich gebeten, in diese Entscheidung einzugreifen, nachdem es offensichtlich auf der Ebene der Sachbearbeitung zu Problemen gekommen war und sich die Entscheidung hingezogen hatte. Ihre Kollegen haben mich damals auch dazu verpflichtet, den Fall niemandem gegenüber zu erwähnen.«
»Aber Ihr Vorgesetzter hat es trotzdem irgendwie erfahren.«
Reichert nickte.
»Der zuständige Sachgebietsleiter war nicht mit meiner Entscheidung einverstanden, weil es für die Fuggerei eine lange Warteliste gab und Catharina Aigner eigentlich nicht berechtigt gewesen war, dort zu wohnen. Vermutlich hat er aber in Wirklichkeit einen Grund gesucht, um mich bei seinem Freund Avkin-von Buchhaecker anzuschwärzen, weil er auf meine Stelle scharf war und es normalerweise noch einige Jahre gedauert hätte, bis ich sie bei meiner Pensionierung frei gemacht hätte.«
»Sie haben damals auch den Drogenkonsum von Catharina Aigner erfunden, um Ihre Entscheidung zu begründen.« Ólafur Davídsson wurde jetzt vieles klarer.
Helmut Reichert lachte.
»Sie hatte damals in ihren Sozialhilfeantrag geschrieben, dass sie Journalistin sei. Eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine Genehmigung, um in der Fuggerei wohnen zu können. Es gab und gibt vermutlich auch heute noch wesentlich härtere Fälle. Menschen ohne Ausbildung und mit abgebrochener Schule. Jedenfalls nicht mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium und der Möglichkeit, jederzeit zumindest als Praktikant oder sogar als freier Mitarbeiter einen Job zu finden. Sie hätte damit vermutlich nie eine Chance auf eine Wohnung in der Fuggerei gehabt. Aber der Antrag war nun mal in der Welt und sowohl die Sachbearbeiter als auch der Sachgebietsleiter hatten ihn gelesen und im Computer erfasst. Ich habe Frau Aigner dann zu einem persönlichen Gespräch bestellt und danach behauptet, sie sei schwer drogenabhängig und brauche daher einen gefestigten Ort mit Regeln und einer gewissen Form der Kontrolle. Damit hatte ich die Wahl zwischen einem Frauenhaus und der Fuggerei und ich habe mich natürlich für die Fuggerei entschieden – offiziell, um ihr die Rehabilitation und den Zugang zur normalen Gesellschaft zu erleichtern.«
»Wieso sollte sie überhaupt in die Fuggerei aufgenommen werden? Ich meine, eigentlich wird ja nicht mit jedem Sozialhilfeantrag auch eine Aufnahme in der Fuggerei geprüft, oder?«
»Ja, das läuft normalerweise nicht so. Wie gesagt, die Warteliste für die Fuggerei ist lang und es müssen ja noch andere Voraussetzungen erfüllt sein, um in die Fuggerei aufgenommen zu werden.«
»Das heißt, Catharina Aigner hat in ihrem Sozialhilfeantrag angegeben, dass sie gerne einen Platz in der Fuggerei hätte?«, fragte Davídsson, der sich daran nicht erinnern konnte, obwohl er die Akte vom Sozialamt mehrfach durchgearbeitet hatte.
»In dem Antrag gibt es dafür kein Feld, das man ankreuzen kann, falls Sie das meinen. Die Antragsformulare sind in ganz Bayern einheitlich. Sie hat, soweit ich mich noch erinnern kann, ein formloses Schreiben zu dem Antrag gelegt, in dem sie ihren Wunsch formuliert hatte.«
Ólafur Davídsson versuchte sich an ein solches Schreiben zu erinnern, aber
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