Hercule Poirot schläft nie
auf, und seitdem haben wir ihn ab und zu gesehen.«
»Er war ein Freund von Mrs Allen?«
»Er tat zumindest so«, erwiderte Jane trocken.
»Wie war Mrs Aliens Einstellung ihm gegenüber?«
»Ich glaube, im Grunde mochte sie ihn nicht – das heißt, ich bin davon überzeugt.«
»Aber sie behandelte ihn nach außenhin freundlich?«
»Ja.«
»Kam es Ihnen je so vor – überlegen Sie genau, Miss Plenderleith –, als ob sie Angst vor ihm hätte?«
Jane Plenderleith grübelte eine Weile darüber nach. Dann erwiderte sie: »Doch – ich glaube, ja. Sie war in seiner Nähe immer nervös.«
»Sind er und Mr Laverton-West sich je begegnet?«
»Nur einmal, glaube ich. Sie waren sich nicht besonders sympathisch. Das heißt, Major Eustace gab sich die grö ß te Mühe, liebenswürdig zu sein, aber Charles ließ ihn a b blitzen. Charles hat eine sehr gute Nase für Leute, die nicht so ganz – so ganz gesellschaftsfähig sind.«
»Und Major Eustace war nicht so ganz gesellschaftsf ä hig, wie Sie das nennen?«, fragte Poirot.
»Nein. Ein ziemlicher Flegel. Bestimmt nicht aus guter Familie.«
»Meinen Sie damit, dass er kein echter Pukka Sahib war?«
Ein flüchtiges Lächeln huschte über Jane Plenderleiths Gesicht, doch sie erwiderte ernst: »Ja.«
»Würde die Vermutung Sie sehr überraschen, Miss Plenderleith, dass dieser Mann Mrs Allen erpresst hat?«
Japp beugte sich vor, um den Eindruck seiner Worte besser beobachten zu können.
Er hatte Erfolg. Die junge Frau zuckte zusammen. Das Blut stieg ihr in die Wangen. Sie schlug mit der Hand hart auf die Armlehne ihres Sessels.
»Das war es also! Wie dumm von mir, dass ich das nicht erraten habe. Natürlich!«
»Sie halten diese Möglichkeit für denkbar, Mademoise l le?«, fragte Poirot.
»Es war dumm von mir, dass ich nicht selbst darauf g e kommen bin! Barbara hat sich in den letzten Monaten mehrmals kleinere Beträge von mir geborgt. Und ich h a be öfter gesehen, wie sie über ihren Kontoauszügen br ü tete. Ich wusste, dass ihre Einkünfte bequem für ihr tägl i ches Leben reichten, deshalb kümmerte ich mich nicht weiter darum, aber wenn sie natürlich größere Summen zahlen musste…«
»Und es würde auch zu ihrem allgemeinen Verhalten passen, ja?«, fragte Poirot.
»Absolut. Sie war nervös. Richtig fahrig manchmal. Ganz anders als sonst.«
»Verzeihen Sie«, entgegnete Poirot gelassen, »aber das ist nicht ganz dasselbe, was Sie uns vorhin erzählten.«
»Das war etwas anderes.« Jane Plenderleith machte eine ungeduldige Handbewegung. »Sie war nicht deprimiert. Ich meine, sie hatte keine Selbstmordgedanken oder so. Aber Erpressung – ja. Ich wünschte nur, sie hätte mir etwas gesagt. Ich hätte ihn zum Teufel gejagt.«
»Aber vielleicht wäre er nicht zum Teufel, sondern stattdessen zu Mr Charles Laverton-West gegangen«, wandte Poirot ein.
»Ja«, sagte Jane Plenderleith langsam. »Ja… das ist wahr…«
»Sie haben keine Ahnung, was dieser Mann gegen Mrs Allen in der Hand hatte?«, fragte Japp.
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Nein. So wie ich Barbara kannte, glaube ich nicht, dass es etwas wirklich Schwerwiegendes gewesen ist. Andererseits…« Sie stoc k te und fuhr dann fort: »Was ich sagen will – Barbara war in mancher Beziehung ein bisschen naiv. Sie ließ sich sehr leicht einschüchtern. Vom Typ her das ideale Opfer für einen Erpresser! Dieses widerliche Schwein!«
Aus den letzten drei Worten klang tiefe Erbitterung.
»Leider«, sagte Poirot, »scheint das Verbrechen verkehrt herum stattgefunden zu haben. Gewöhnlich ist es das Opfer, das den Erpresser umbringt, nicht der Erpresser sein Opfer.«
Jane Plenderleith runzelte leicht die Stirn. »Ja – das ist richtig. Aber ich könnte mir gewisse Umstände vorste l len…«
»Nämlich?«
»Nehmen wir einmal an, Barbara hat aus Verzweiflung den Kopf verloren. Vielleicht bedrohte sie ihn mit ihrer albernen kleinen Pistole. Er wollte sie ihr aus der Hand winden, und während des Kampfes drückte er ab und tötete sie. Entsetzt über das, was er angerichtet hatte, versuchte er dann, einen Selbstmord vorzutäuschen.«
»Möglich«, erklärte Japp. »Aber da gibt es einen Haken.«
Sie sah ihn forschend an.
»Major Eustace – unterstellt, dass er es war – hat ge s tern Abend das Haus um zwanzig Minuten nach zehn verlassen und sich in der Tür von Mrs Allen verabschi e det.«
»Ach«, sagte Jane Plenderleith betroffen. »Ich verstehe.« Sie überlegte kurz.
Weitere Kostenlose Bücher