Hercule Poirot schläft nie
»Vielleicht ist er später noch einmal zurückgekommen.«
»Ja, das ist möglich«, bestätigte Poirot.
»Sagen Sie, Miss Plenderleith«, fragte Japp, »wo hat Mrs Allen gewöhnlich ihre Gäste empfangen, hier oder in ihrem Zimmer?«
»Sowohl als auch. Der Raum hier wurde für unsere g e meinsamen Einladungen oder für meine eigenen Freunde benutzt. Sehen Sie, wir hatten abgemacht, dass Barbara das große Schlafzimmer bekam und es gleichzeitig auch als Salon benutzte, und ich hatte das kleine Schlafzimmer und benutzte dazu diesen Raum.«
»Falls Major Eustace seinen Besuch gestern Abend a n gekündigt hatte, wo, glauben Sie, hätte Mrs Allen ihn empfangen?«
»Wahrscheinlich hier, würde ich meinen.« Ihre Stimme klang etwas zweifelnd. »Es wäre weniger intim gewesen. Andererseits – wenn sie ihm einen Scheck ausschreiben wollte oder so etwas, hätte sie ihn vermutlich mit nach oben genommen. Hier unten gibt es kein Schreibmater i al.«
Japp schüttelte den Kopf. »Für einen Scheck bestand keine Notwendigkeit. Mrs Allen hat gestern zweihundert Pfund in bar von ihrem Konto abgehoben. Und bisher haben wir nirgends im Haus eine Spur von dem Geld entdecken können.«
»Und sie hat es diesem Schuft gegeben? Oh, arme Ba r bara! Arme, arme Barbara!«
Poirot hüstelte. »Falls es sich nicht mehr oder weniger um einen Unfall handelt, wie Sie vermuten, erscheint es mir doch bemerkenswert, dass er eine offenbar regelm ä ßige Einnahmequelle zum Versiegen brachte.«
»Wieso Unfall? Das war kein Unfall! Er verlor die B e herrschung, sah rot und erschoss sie.«
»Sie glauben, so ist es passiert?«
»Ja.« In heftigem Ton fügte sie hinzu: »Es war Mord – Mord!«
»Da möchte ich Ihnen nicht widersprechen, Mademo i selle«, sagte Poirot ernst.
»Was für eine Zigarettensorte hat Mrs Allen geraucht?«, fragte Japp.
»Gaspers. Dort in dem Kästchen sind welche.«
Japp öffnete das Kästchen, nahm eine Zigarette heraus, nickte und steckte sie in die Tasche.
»Und Sie, Mademoiselle?«, erkundigte sich Poirot.
»Die gleichen.«
»Sie rauchen keine türkischen Zigaretten?«
»Nie.«
»Und Mrs Allen auch nicht?«
»Nein. Sie mochte sie nicht.«
»Und Mr Laverton-West? Was hat er geraucht?«
Sie starrte Poirot an. »Charles? Was spielt das für eine Rolle? Sie wollen doch nicht behaupten, er hätte sie u m gebracht?«
Poirot zuckte die Achseln. »Es hat schon mancher Mann die Frau getötet, die er liebte, Mademoiselle.«
Jane schüttelte ungeduldig den Kopf.
»Charles würde nie jemand umbringen. Er ist ein sehr vorsichtiger Mann.«
»Trotzdem, Mademoiselle, sind es gerade die vorsicht i gen Männer, die die raffinierten Morde begehen.«
Wieder musterte sie ihn prüfend.
»Aber nicht aus dem Motiv, das Sie soeben erwähnt h a ben, Monsieur Poirot.«
Er neigte den Kopf. »Ja, das ist wahr.«
Japp stand auf.
»Nun, ich glaube, ich kann hier nicht mehr viel tun. Ich würde mich gern noch einmal im Haus umsehen.«
»Ob das Geld nicht doch irgendwo versteckt ist? Selbstverständlich. Suchen Sie ruhig überall, wo Sie wo l len. Auch in meinem Zimmer – obwohl es unwahrschei n lich ist, dass Barbara es dort versteckt haben würde.«
Japps Suche war kurz, aber gründlich. Das Wohnzi m mer hatte in wenigen Minuten all seine Geheimnisse preisgegeben. Dann begab sich Japp nach oben. Jane Plenderleith hockte auf der Armlehne eines Sessels. Sie rauchte eine Zigarette und blickte mit gerunzelter Stirn ins Feuer. Poirot beobachtete sie.
Nach einigen Minuten sagte er ruhig: »Wissen Sie, ob Mr Laverton-West sich zur Zeit in London aufhält?«
»Ich habe keine Ahnung. Vermutlich ist er bei seiner Familie in Hampshire. Eigentlich hätte ich ihm gleich telegrafieren sollen. Wie schrecklich! Das habe ich ganz vergessen.«
»Es ist nicht leicht, an alles zu denken, Mademoiselle, wenn eine Katastrophe geschieht. Und schließlich, schlechte Nachrichten haben keine Eile. Man erfährt sie noch früh genug.«
»Ja, das ist wahr«, erwiderte Jane zerstreut.
Japps Schritte kamen die Treppe herunter. Jane Ple n derleith ging zu ihm hinaus.
»Nun?«
Japp schüttelte den Kopf. »Leider nichts, was uns we i terhilft, Miss Plenderleith. Ich habe jetzt das ganze Haus durchsucht. Ach, da fällt mir ein, ich will noch rasch e i nen Blick in den Wandschrank hier unter der Treppe werfen.«
Mit diesen Worten packte er den Türgriff und zog.
»Da ist abgeschlossen«, sagte Jane Plenderleith rasch.
Etwas in ihrem Ton veranlasste
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