Hercule Poirot schläft nie
Einerseits muss er eine Politik verfolgen, die seiner Überzeugung nach seinem Land zum Vorteil g e reicht, gleichzeitig jedoch darf er die Macht der öffentl i chen Meinung nicht außer Acht lassen. Die öffentliche Meinung ist sehr oft sentimental, konfus und überaus unvernünftig, dennoch muss man auf sie Rücksicht ne h men.«
»Wie gut Sie das formulieren! Genau das ist das ve r wünschte Dilemma, in dem man heutzutage als Politiker steckt. Man muss sich der öffentlichen Meinung beugen, auch wenn man weiß, wie gefährlich und verrückt sie ist.«
»Darin bestand, glaube ich, damals auch Ihr Dilemma. Es gingen Gerüchte um, dass Sie mit dem betreffenden Land ein Abkommen geschlossen hatten. Das Land und die Presse liefen Sturm dagegen. Glücklicherweise hat der Premierminister die Geschichte entschieden bestritten, und auch Sie wiesen alle Anschuldigungen zurück, o b wohl Sie kein Hehl daraus machten, wo Ihre Sympathien lagen.«
»Das ist alles völlig richtig, Monsieur Poirot, doch w a rum alte Geschichten wieder aufwärmen?«
»Weil ich es für möglich halte, dass einer Ihrer Gegner in seiner Enttäuschung über Ihren damaligen Sieg den Versuch unternehmen könnte, Sie wieder in Schwierigke i ten zu bringen. Sie haben seinerzeit das Vertrauen der Öffentlichkeit sehr bald wiedergewonnen: Die damalige Lage hat sich inzwischen geändert, Sie sind heute verdie n termaßen eine der populärsten Gestalten im politischen Leben. Man spricht von Ihnen offen als dem komme n den Premierminister, sollte Mr Humberly zurücktreten.«
»Sie halten das Ganze für einen Versuch, meinen Ruf als Politiker zu ruinieren? Unsinn!«
»Tout de même, Lord Mayfield, es sähe nicht gut aus, wenn bekannt würde, dass Ihnen die Konstruktionspläne für Englands neuen Bomber gestohlen wurden, und zwar ausgerechnet während einer Wochenendeinladung, auf der eine gewisse, überaus reizende Dame Ihr Gast war. Diskrete Anspielungen in der Presse über Ihre Beziehung zu der betreffenden Dame könnten leicht ein gewisses Misstrauen hervorrufen.«
»So etwas würde kein Mensch ernst nehmen.«
»Mein lieber Lord Mayfield, Sie wissen ganz genau, dass das nicht stimmt! Oft braucht es nur eine Kleinigkeit, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in einen Menschen zu untergraben.«
»Ja, das ist richtig.« Lord Mayfield sah plötzlich sehr b e sorgt aus. »Mein Gott! Diese elende Geschichte wird i m mer komplizierter. Glauben Sie wirklich – aber nein, das ist doch ausgeschlossen – ausgeschlossen!«
»Sie kennen niemand, der – eifersüchtig auf Sie ist?«
»Absurd!«
»Auf jeden Fall müssen Sie zugeben, dass meine Fragen über Ihre persönlichen Beziehungen zu den verschied e nen Gästen dieser Wochenendgesellschaft nicht völlig irrelevant sind.«
»Oh, mag sein – mag sein. Sie haben mich nach Julia Carrington gefragt. Da gibt’s wirklich nicht viel zu sagen. Sie war mir nie besonders sympathisch, und ich glaube auch nicht, dass sie viel Sympathie für mich empfindet. Sie ist eine hektische, nervöse Person, von einer geradezu hemmungslosen Verschwendungssucht und dazu eine fanatische Kartenspielerin. Außerdem, glaube ich, ist sie noch dermaßen in ihren altmodischen Wertvorstellungen gefangen, dass sie mich verachtet, weil ich ein Selfmad e man bin.«
»Ehe ich herkam, habe ich im Who’s who nachgeschl a gen. Sie waren Direktor einer berühmten Maschinenba u firma und sind selbst ein vorzüglicher Ingenieur.«
»Allerdings, es gibt von der Praxis her wohl nichts, was ich nicht kenne. Ich habe mich ganz von unten hochg e arbeitet.«
Lord Mayfields Stimme klang bitter.
»O la la!«, rief Poirot plötzlich. »Was für ein Narr bin ich gewesen – was für ein Narr!«
Der andere starrte ihn erstaunt an.
»Wie bitte?«
»Mir ist eben ein Teil des Rätsels klar geworden. Ich hatte etwas übersehen… Aber es passt alles zusammen. Ja, es fügt sich mit wundervoller Genauigkeit in das übr i ge Puzzlespiel ein!«
Lord Mayfield starrte ihn halb erstaunt, halb fragend an. Doch Poirot schüttelte leise lächelnd den Kopf.
»Nein, nein, nicht jetzt. Ich muss meine Gedanken erst noch ordnen.« Er erhob sich. »Gute Nacht, Lord Ma y field. Ich glaube, ich weiß jetzt, wo sich die Pläne befi n den.«
»Sie wissen es?«, rief Lord Mayfield. »Dann holen wir sie uns doch gleich!«
Poirot schüttelte abermals den Kopf.
»Nein, nein, das geht nicht. Übereiltes Handeln wäre f a tal. Überlassen Sie ruhig alles Hercule
Weitere Kostenlose Bücher