Hercule Poirot schläft nie
auf eigene Faust, Lord Mayfield?«
»Erfahrungsgemäß halte ich das für die beste Methode«, sagte der andere etwas grimmig.
»Ja, Sie sind ein kluger Mann: Traue niemand! Aber mit Sir George Carrington haben Sie schließlich doch darüber gesprochen?«
»Ei nfach deshalb, weil ich merkte, dass der Gute sich ernstliche Sorgen um mich machte.«
Lord Mayfield lächelte bei der Erinnerung.
»Er ist ein Freund von Ihnen?«
»Ja, wir kennen uns seit über zwanzig Jahren.«
»Und seine Frau?«
»Ich kenne natürlich auch seine Frau sehr gut.«
»Aber – verzeihen Sie meine Aufdringlichkeit – Sie st e hen nicht auf dem gleichen vertrauten Fuß mit ihr?«
»Ich sehe eigentlich nicht ein, was meine persönlichen Beziehungen zu anderen Leuten mit dem vorliegenden Fall zu tun haben, Monsieur Poirot.«
»Ich dagegen bin der Meinung, Lord Mayfield, dass sie eine ganze Menge damit zu turn haben könnten. Sie w a ren doch ebenfalls der Ansicht, dass meine Theorie, der Täter sei möglicherweise aus dem Salon gekommen, z u treffend sein könnte, nicht wahr?«
»Ja. Mehr noch, ich stimme mit Ihnen überein, dass es sich so abgespielt haben muss.«
»Wir wollen nicht sagen ›muss‹. Es ist ein zu rigoroses Wort.
Wenn meine Vermutung also der Wahrheit entspricht – wer, glauben Sie, könnte die Person im Salon gewesen sein?«
»Mrs Vanderlyn, das ist doch sonnenklar. Einmal kam sie ja bereits in den Salon zurück, um das vergessene Buch zu holen. Ebensogut könnte sie noch einmal z u rückgekehrt sein, unter irgendeinem anderen Vorwand – eine vergessene Handtasche, ein liegen gebliebener Schal, es gibt für eine Frau ein Dutzend Entschuldigungsgrü n de. Sie verabredet mit ihrer Zofe, dass diese im passenden Moment schreit und Carlile damit aus dem Arbeitszi m mer lockt. Dann schlüpft sie ungesehen durch die Terra s sentür und wieder zurück, wie Sie vorhin gesagt haben.«
»Mrs Vanderlyn kann es nicht gewesen sein. Sie verge s sen eines: Mr Carlile hörte sie von oben nach ihrer Zofe rufen, während er mit dem Mädchen sprach.«
Lord Mayfield biss sich auf die Lippen.
»Richtig. Das hatte ich vergessen.« Er sah sehr ärgerlich aus. »Sehen Sie«, sagte Poirot milde, »wir machen For t schritte. Wir beginnen mit der simplen Erklärung, dass ein Dieb von außerhalb eingestiegen ist und sich mit der Beute davongemacht hat. Eine sehr bequeme Erklärung, wie ich gleich zu Anfang feststellte, zu bequem, als dass man sie unbesehen akzeptieren dürfte. Diese Möglichkeit haben wir inzwischen ausgeschlossen. Dann kommen wir zu der Theorie der ausländischen Agentin, Mrs Vande r lyn, und wiederum scheinen alle Fakten wunderbar z u sammenzupassen – bis zu einem bestimmten Punkt. Nun jedoch sieht es so aus, als sei auch diese Theorie zu ei n fach – zu bequem, als dass wir sie akzeptieren könnten.«
»Sie würden Mrs Vanderlyn von jeder Schuld reinw a schen?«
»Die fragliche Person im Salon war jedenfalls nicht Mrs Vanderlyn. Möglicherweise war es ihr Komplice, aber es wäre auch denkbar, dass der Diebstahl von einer ganz anderen Person verübt worden ist. In dem Fall müssen wir uns die Frage nach dem Motiv stellen.«
»Ist das nicht sehr an den Haaren herbeigezogen, Mo n sieur Poirot?«
»Das glaube ich nicht. Überlegen wir, welches Motiv könnte hier in Frage kommen. Ein finanzielles Motiv? Vielleicht wurden die Papiere einfach zu dem Zweck g e stohlen, sie in Bargeld zu verwandeln. Dies wäre der ei n leuchtendste Grund. Hinter der Tat könnte jedoch auch ein völlig anderes Motiv stecken.«
»Nämlich?«
»Die Absicht, einer gewissen Person zu schaden, zum Beispiel«, sagte Poirot langsam.
»Wem denn?«
»Möglicherweise Mr Carlile. Gegen ihn würde sich log i scherweise der Verdacht zuerst richten. Aber vielleicht steckt mehr dahinter. Männer, die die Geschicke eines Landes lenken, Lord Mayfield, sind durch die öffentliche Meinung besonders leicht verwundbar.«
»Wollen Sie damit sagen, der Diebstahl habe das Ziel gehabt, meinem Ruf in der Öffentlichkeit zu schaden?«
Poirot nickte.
»Ich glaube mich nicht zu irren, Lord Mayfield, wenn ich sage, dass Sie vor etwa fünf Jahren eine etwas schwi e rige Phase durchgemacht haben. Man verdächtigte Sie freundschaftlicher Beziehungen zu einer europäischen Macht, die damals bei der Wählerschaft dieses Landes äußerst unpopulär war.«
»Das ist absolut richtig, Monsieur Poirot.«
»Ein Politiker steht heutzutage vor einer schwierigen Aufgabe.
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