Hercule Poirots Weihnachten
hin.
«Die Mühlen des Teufels, müsste man da eher sagen», warf Sugden hart ein. «Göttliches war bestimmt nichts an Simeon Lee. Er war von der Art, die ihre Seele dem Teufel verkauft und sich noch freut über den Handel. Und stolz war er auch, stolz wie Luzifer!»
«Stolz wie Luzifer!», wiederholte Poirot. «Das ist sehr aufschlussreich, was Sie da sagen.»
Inspektor Sugden sah ihn verwundert an.
«Sie wollen doch nicht etwa andeuten, er sei umgebracht worden, weil er stolz war?»
«Ich meine, Stolz ist eine Eigenschaft, die sich vererbt. Simeon Lee kann seinen Stolz den Söhnen vererbt haben…»
Er brach ab. Hilda Lee war aus dem Haus getreten und sah die Terrasse entlang.
«Ich habe Sie gesucht, Mr Poirot.»
Inspektor Sugden hatte sich mit einer Entschuldigung verabschiedet und ging ins Haus zurück. Hilda sah ihm nach und sagte: «Ich habe nicht gewusst, dass er bei Ihnen war. Ich glaubte, er sei mit Pilar im Garten. Ein schöner Mann, der Inspektor, und sehr rücksichtsvoll.»
Ihre Stimme klang weich und angenehm beruhigend. Sie wandte sich wieder Poirot zu.
«Mr Poirot, Sie müssen mir helfen.»
«Es wird mir ein Vergnügen sein, Madame.»
«Sie sind ein kluger Mensch, Mr Poirot, das habe ich gestern Abend gespürt. Es gibt vieles, was Sie wahrscheinlich mit Leichtigkeit herausbekommen werden, und ich möchte, dass Sie meinen Mann verstehen.»
«Ja, Madame?»
«Inspektor Sugden würde ich gewisse Dinge nicht gerne anvertrauen. Er könnte sie nicht begreifen. Aber Sie werden Verständnis dafür haben.»
Poirot verbeugte sich. «Ich fühle mich geehrt, Madame.»
Hilda Lee fuhr ganz ruhig fort: «Seit vielen Jahren, eigentlich seit wir verheiratet sind, ist mein Mann ein seelischer Krüppel - wenn ich mich so ausdrücken kann. Sehen Sie, eine körperliche Krankheit tut weh und quält einen; aber Fleischwunden heilen, Knochen wachsen wieder zusammen, und selbst wenn vielleicht eine gewisse Schwäche zurückbleibt oder eine Narbe, so ist man doch nach einiger Zeit wieder gesund. Mein Mann aber hat im empfindlichsten Alter eine schwere seelische Krankheit durchgemacht. Er sah seine über alles geliebte Mutter sterben. Für diesen Tod glaubte er moralisch seinen Vater verantwortlich machen zu müssen, und von dieser Zwangsvorstellung hat er sich nie mehr befreien können. Der Hass auf seinen Vater blieb immer lebendig. Ich habe ihn überredet – ich, Mr Poirot! –, zum Weihnachtsfest hierher zu fahren, damit er sich mit seinem Vater aussöhnen solle. Das wünschte ich um seinetwillen, damit diese seelische Wunde endlich heilen könnte. Jetzt weiß ich, dass unser Kommen ein Fehler war. Simeon Lee fand Vergnügen daran, in dieser Wunde herumzustochern. Und das war ein sehr gefährliches Unterfangen.»
«Wollen Sie mir zu verstehen geben, Madame, dass Ihr Gatte seinen Vater umgebracht hat?»
«Ich sage Ihnen, Mr Poirot, dass er das sehr leicht hätte tun können. Und ich sage Ihnen weiter, dass er es nicht tat! Im Augenblick, da Simeon Lee ermordet wurde, saß sein Sohn im Musiksalon und spielte einen Trauermarsch. Der Wunsch zu töten lebte in seinem Herzen, kroch in seine Finger und erstarb in einer Flut von Tönen – das ist die Wahrheit.»
Poirot blieb eine Minute lang in Gedanken versunken stehen. Dann sagte er: «Und wie beurteilen Sie, Madame, das tragische Leben und Sterben der Mutter Ihres Gatten?»
«Ich habe Lebenserfahrung genug, um zu wissen, dass man nie nach äußeren Umständen urteilen soll», antwortete Hilda Lee klar und überlegt. «Allem Anschein nach war Simeon Lee durchaus im Unrecht und behandelte seine Frau abscheulich. Aber gleichzeitig glaube ich, dass es eine Art von Schwächlichkeit, eine Veranlagung zum Leiden und Dulden gibt, die die schlimmsten Instinkte in einem Mann wachrufen kann – jedenfalls in einem Mann, wie mein Schwiegervater einer war. Simeon Lee hätte, glaube ich, Mut und Charakterfestigkeit bewundert. Geduld und Tränen irritierten ihn.»
Poirot nickte.
«Ihr Mann sagte uns gestern Abend: ›Meine Mutter hat sich nie beklagt.‹ Ist das wahr?»
Ungeduldig erwiderte Hilda Lee:
«Nein, das ist natürlich nicht wahr! Sie beklagte sich dauernd bei David. Die ganze Last ihres Unglücks legte sie auf seine Schultern. Und er war zu jung, viel zu jung, um alles tragen zu können, was sie ihm aufbürdete.»
Poirot sah sie nachdenklich an. Sie errötete unter seinen Blicken und nagte an ihrer Lippe.
«Ich verstehe», sagte Poirot.
«Was verstehen
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