Hercule Poirots Weihnachten
dieser zweiten Treppe gestürzt. Ihr Zimmer liegt in deren unmittelbarer Nähe. Alle anderen geben an, über die Haupttreppe nach oben gelaufen zu sein.»
«Das ist allerdings verwirrend», sagte Poirot.
Die Tür wurde aufgestoßen, und Magdalene Lee trat hastig ein. Sie atmete heftig, und ihre Wangen waren gerötet. Sie kam schnell an den Tisch und sagte:
«Mein Mann glaubt, dass ich mich hingelegt habe; aber ich bin leise aus dem Zimmer geschlüpft.» Sie sah Colonel Johnson aus großen, verzweifelten Augen an. «Wenn ich Ihnen nun die Wahrheit sage, werden Sie sie für sich behalten, nicht wahr? Ich meine… Sie müssen nicht alles publik machen?»
«Sofern es nicht mit dem Verbrechen zusammenhängt…»
«Aber gar nicht! Es handelt sich um – etwas ganz Privates – um eine…» Magdalenes Augen schimmerten feucht. «Ich vertraue Ihnen, Colonel Johnson, ich weiß, dass man Ihnen vertrauen darf. Sehen Sie, es war so: Jemand…» Sie stockte.
«Ja, Mrs Lee?»
«Ich wollte vorgestern wirklich mit jemandem telefonieren. Einem… einem Freund von mir. Aber ich wollte nicht, dass George davon wusste. Das war sicherlich nicht recht von mir, und ich. Nach dem Abendessen ging ich zum Telefon, weil ich glaubte, dass George noch im Speisezimmer war. Aber als ich mich dem Arbeitszimmer näherte, hörte ich meinen Mann telefonieren. Ich musste also warten.»
«Wo haben Sie gewartet, Mrs Lee?», fragte Poirot.
«Hinter der Treppe ist eine kleine Garderobe. Der Raum ist ziemlich dunkel. Dort schlüpfte ich hinein, weil ich von diesem Versteck aus gleichzeitig gesehen hätte, wenn George das Arbeitszimmer verließ. Aber er kam nicht heraus, und dann ging der Lärm oben los, und alle rannten die Treppe hinauf.»
«Ihr Mann hat also dieses Zimmer nicht verlassen, bis der Schrei oben ertönte?»
«Nein.»
«Und Sie selber haben die Zeit von neun Uhr bis neun Uhr fünfzehn wartend in dieser Garderobe verbracht?», fragte Johnson.
«Ja! Aber das konnte ich doch nicht sagen! Man hätte mich gefragt, was ich dort zu suchen hatte, verstehen Sie? Und alles hätte so… so komisch ausgesehen für mich, begreifen Sie?»
«Ja, es mutet tatsächlich etwas komisch an», gab Johnson trocken zu.
«Ich bin so erleichtert, dass ich Ihnen nun die Wahrheit gesagt habe.» Sie lächelte ihn verführerisch an. «Sie werden meinem Mann nichts davon erzählen, nicht wahr? Nein, natürlich nicht! Ich weiß, dass man Ihnen vertrauen kann – Ihnen allen!»
Sie bedachte alle Anwesenden mit einem letzten flehentlichen Blick und schwebte dann aus dem Zimmer.
Colonel Johnson räusperte sich energisch.
«Nun – es könnte so gewesen sein! Klingt ganz plausibel. Andererseits…»
«Könnte es auch nicht so gewesen sein!», fiel ihm Sugden ins Wort. «Das ist es ja gerade! Wir wissen es nicht.»
Lydia Lee befand sich, halb verborgen durch die schweren Gardinen, am Fenster und sah in den Garten hinaus. Ein Laut hinter ihr ließ sie herumfahren. Hercule Poirot stand unter der Tür.
«Mr Poirot! Sie haben mich erschreckt!»
«Das tut mir Leid, Madame.»
«Ich dachte, es sei Horbury.»
Poirot nickte. «Ja, er geht tatsächlich sehr leise im Haus herum, dieser Mann, wie eine Katze oder ein – Dieb.»
Er sah sie aufmerksam an. Sie schnitt eine kleine, verächtliche Grimasse, als sie sagte: «Ich habe nie etwas mit diesem Menschen anfangen können. Mir ist es recht, wenn wir ihn möglichst bald loswerden.»
«Das wird allerdings nur von Vorteil für Sie sein.»
Sie sah ihn forschend an.
«Wieso? Liegt etwas gegen ihn vor?»
«Nun, er ist ein Mensch, der Geheimnisse sammelt und sie dann zu seinen Gunsten ausbeutet.»
«Glauben Sie, dass er etwas über den Mord weiß», fragte sie. Poirot zuckte die Achseln.
«Er hat leise Füße und lange Ohren. Vielleicht hat er irgendetwas gehört oder gesehen, das er für sich behält.»
«Und womit er einen von uns erpressen könnte?»
«Das liegt im Bereich der Möglichkeit, Madame. Aber ich bin nicht hergekommen, um Ihnen das zu sagen.»
«Sondern?»
«Ich habe mit Mr Alfred gesprochen», sagte Poirot langsam, «und er hat mir einen Vorschlag gemacht, den ich gerne mit Ihnen besprochen hätte, ehe ich ihn annehme oder ablehne. Aber dann war ich so entzückt über das Bild, das Sie abgaben - Ihr reizendes Kleid gegen das tiefe Rot der Vorhänge, dass ich stehen blieb, um Sie zu bewundern.»
«Wirklich, Mr Poirot! Müssen wir unsere Zeit mit Komplimenten verlieren?»
«Verzeihen Sie,
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