Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
Vom Netzwerk:
Sehnsucht und hundert
    feine, tätige Nerven arbeiten und schaffen und fiebern«. Und auf
    einmal ist das nicht Schumann mehr. Was ist es doch? Ja, Chopin.
    Natürlich, Chopin, die erste Nocturne. Oder die dritte. »Glaszarte,
    scheue Töne, vermischte und traumwandelnde Takte, wundersam
    geschlungene, elegante Figuren, und die Akkorde erregend, wie
    verzerrt, Harmonie und Dissonanz nicht mehr zu unterscheiden. Alles
    auf der Grenze, alles ungewiß, nachtwandlerisch taumelnd, und
    mitten hindurch mit dünnem Fluß eine süße, milde, kinderselige
    reine Melodie, Chopin!«
    Man könnte statt Chopin auch Hesse sagen. Es ist dieselbe
    Sehnsucht nach Festen und Dolchen; dieselbe Trauer, über dunkle,
    beglänzte Wasser gebeugt. Es ist dasselbe Sichverschuldetfühlen und
    Hinwegverlangen, bevor noch die Tat geschehen. Es ist die
    Erbsündenmusik aus dem polnischen Adelslande. Und da ist sie
    wieder, Hesses erschrockene Mondwelt, von Küssen und Tränen
    durchweht, mitten im Philisterland. Da ist er wieder, der großäugige
    Traum, und das Suchen beginnt, zurück zum Anfang und zur
    Herkunft, bis zu jenem Punkte, mit dem alles Leid und Lied
    begonnen hat. Und dem Dichter steigt die Frage auf: »Bist du
    eigentlich glücklich?« Und er sucht nach seinem »frohesten Tag«. Er
    wandert
    über
    Gletscher,
    wandert
    auf
    einer
    blühenden
    Odenwaldstraße mit einem Gesellen, der Knulp heißen könnte. Er ist
    eine Morgenstunde lang auf der Schwäbischen Alb, er kommt immer
    näher nach Hause. Er kommt zu dem Tag, »da ein Bote kam und
    grüßte und Geld heischte und die Botschaft daließ, daß fern in der
    Heimat meine Mutter gestorben war«.

    84
    Eine andere dieser Skizzen, aus dem Jahre 1907, aus demselben
    Jahre, da der Dichter sich ein eigenes Haus baute, spricht eigentlich
    nur von der Lust des Wanderns. »Lindenblüte« ist diese Skizze
    betitelt: »O ihr Wanderburschen, ihr fröhlichen Leichtfüße«, so klingt
    da die Sehnsucht des Knulp-Dichters an, »jedem von euch, auch
    wenn ich ihm einen Fünfer geschenkt habe, sehe ich wie einem König
    nach, mit Hochachtung, Bewunderung und Neid. Jeder von Euch,
    auch der Verlottertste, hat eine unsichtbare Krone auf; jeder von
    euch ist ein Glücklicher und Eroberer. Auch ich bin euresgleichen
    gewesen und weiß, wie Wanderschaft und Fremde schmeckt. Sie
    schmeckt, trotz Heimweh und Mangel und Unsicherheit, gar süß...
    Nicht daß ich alt oder ein Philister geworden wäre! Ach, ich bin
    vielleicht törichter und zügelloser als je, und zwischen mir und den
    klugen Leuten und ihren Geschäften ist noch immer kein Verständnis
    und kein Bündnis aufgekommen. Ich höre auch immer noch wie in
    den drängendsten Jünglingszeiten (er ist jetzt dreißig Jahre alt), die
    Stimme des Lebens in mir rufen und mahnen, und ich habe nicht im
    Sinn, ihr ungetreu zu werden.« Nein, diese Stimme, sie ist »leise und
    dringlich geworden« und führt den Dichter »immer einsamere,
    dunklere, stillere Wege, von denen ich noch nicht weiß, ob sie in Lust
    oder in Leid enden sollen, die ich aber gehen will und gehen muß«.
    Es ist nichts mit der »bürgerlichen Epoche« in Hesses Leben. Er ist
    der Steppenwolf und Outsider, der Knulp und Wanderer, der
    Antiphilister und Leidende; auch in der Ehe. Auch im eigenen Hause
    ist er ein Fremder, den man beherbergt; ein fahrender Geselle, den
    man füttert und der sich der Hauskatze näher fühlt als all seinem
    schönen Besitz. Andere dieser Bodensee-Skizzen (im ganzen sind es
    sieben) sprechen vom Leben auf dem See, mit Angel- und
    Rudergerät; von den Hegau-Sommertagen, von Fischern und
    einsamen Mittagstunden. Sie sprechen davon ohne Aufregung; in
    einem schweren, langsamen Gestus; als seien schon hundert Jahre
    vorüber, und diese Skizzen sind doch soeben geschrieben.
    Auch die Freundschaft mit Ludwig Finckh kann man nicht eben
    bürgerlich nennen. In der hohen Literatur zuckt man beim Namen
    des Dichters geringschätzig die Achseln. Auch sein bestes Buch, der
    Hesse gewidmete »Rosendoktor«, hat weder die europäische, noch
    die deutsche Sprache um eine neue Wendung, ein neues Wort, einen

    85
    neuen Gedanken bereichert. Einmal aber hat ihn Bierbaum gerühmt
    und Walter Heymel ihn in seine »Chansons« aufgenommen. Er hat
    nicht die Schärfe eines Grammatikers, nicht jene Skrupel seines
    Handwerks, die dem Schriftsteller eignen müssen, wenn seine
    Stimme soll vorhanden sein. Er schreibt seine Sätze wacker und
    frisch heraus, wie sie der Dialekt

Weitere Kostenlose Bücher