Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
dreifachen
Spaltung Hesse-Sinclair-Demian oder der gar vierfachen Hesse-
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Klingsor-Thu Fu-Litaipe, ist der Dichter an die ritterliche Kumpanei,
den festlichen Enthusiasmus der Ideale, ist er an die männliche,
heroische, erzieherische Freundesliebe so sehr gebunden, daß er
dazu neigt, die hohen Seelenbünde bis zum »Stummen« und zum
»Bruder Tod« zu fingieren, wenn sie das Leben ihm versagt.
Vollends verschieden ist die Stellung zur Gattin. Finckh ist ein
prächtiger Familienvater, ein immergrüner Weihnachtsmann und
St. Nikolaus. So zeigt ihn die Festgabe zu seinem fünfzigsten
Geburtstag. Hesse dagegen fühlt sich alt in der Jugend und jung im
Alter. Er wird immer Außenseiter und Gast sein, auch zu Hause bei
sich. Er ist wenig geeignet für Momentaufnahmen im Kreise der
Kindertrompeten und in der Hecke bei sanft anlehnender Gattin. Er
hat seine Launen und Marotten, seine Kopfschmerzen, sein geistiges
Fieber, und die Familie kommt ihm dann in die Quere, wird ihm
lästig. Die Steuerzettel und Katasterämter, das tägliche Plätschern
der Gespräche verstimmen ihn; ja machen ihn krank. Er beneidet die
Glückskinder, die die häusliche Art von Lebensnähe und Wirklichkeit
ertragen, ja sich darin wohlig und warm fühlen können; ihm selbst
gelingt dies nicht. Er hat am despotischen Vaterregime vergangener
Zeiten gelitten und ist darum der Mutter ritterlich verbunden. Das
Bild des Freundes, der ähnlich gelitten hat, rückt bei ihm vor das Bild
der Frau und Gesponsin; in der Ehe wird er mit ihr um die Seele
seiner Kinder kämpfen.
»Roßhalde«, Hesses Eheroman, ist dessen ein Beweis. Die Spannung
zwischen Frau und Mann ist ein unüberbrückbarer Zwiespalt
zwischen Sein und Werden, zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen
Harmonie und Dissonanz. Hesse beobachtet nicht weniger scharf als
Strindberg das Theater der Eifersüchte und der Verfolgung, der
Haßgefühle und ausgespielten Trümpfe; aber er teilt nur die
Resultate, die Jahressumme der lautlosen Kämpfe mit. Und dann fällt
(in »Iris«) ein gewichtiges Wort mit in die Waagschale: der Zauber
der Frau, ihre Verbundenheit mit dem Muttertum als Urbild und
ewigem Symbol. Der Mann, mit dem das Leben immer von vorne
und neu beginnt, hat diesem Zauber nichts Gleichwertiges
entgegenzusetzen; er bleibt immer eigensinniges, wehrloses Kind.
Der Mutterzauber ist eine Macht gleich der Musik, die auf gestuftem
Wissen der Generationen beruht, und ist eine Daseinsfülle, die den
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Mann im Walde seiner eigenen Erinnerungen und Kinderträume
verschlingt und erdrosselt.
Nur der Freund vermag da zu helfen, zu lösen. Mit Vorsicht und
Scheu wird er eingeweiht; aber nachdem es geschehen ist, hat er
Macht, und der Zauber ist zur Hälfte bereits gebrochen. Der Freund
steht der hellen, der Lichtseele und aller Seelensehnsucht nahe. Er
ist der Geliebte fast; denn die Seele des Romantikers ist selbst eine
Frau; sie ist besessen vom Bilde der Mutter, von allen Anfängen. Sie
ist selbst die Mutter. In einer Romantiker-, einer Künstlerehe
kämpfen stets zwei Mütter um das Kind. Darum kann Hesse in
Gelegenheitsnotizen schreiben: »In Gaienhofen bekam ich meine
drei Söhne«, statt: »In Gaienhofen wurden meine drei Söhne
geboren.« Der Einfluß des Freundes, der das Geheimnis kennt, geht
selbst über die Bindung durch Wort und Versprechen; denn Wort und
Versprechen sind einer Zauberin, einer Armida gegeben. Und dies ist
das böse Dilemma: soweit die Gattin im Traumbild der Mutter
aufgeht, bringt sie Verschuldung und Qual; soweit sie aber von
diesem Traumbilde verschieden ist, gehört sie einer fremden,
feindlichen Welt an; ist sie von außen dazugekommen. Dann hat sie
ihre eigene, in sich geschlossene, unzugängliche Welt. Dann ist sie
nicht in den Anfängen, mit denen der Romantiker täglich kämpft; ist
nicht ein Stück von ihm und ein Teil seines innigen Wesens.
Aus ähnlichem Grund sind die Jünglinge in Hesses früheren Büchern
meist unglückliche Liebhaber (so besonders in »Knulp«, wo das
ganze Vagantenleben aus einer mißglückten Jugendliebe hergeleitet
wird). Diese Jünglinge haben kein Glück mit den Frauen. Sie sind
hagestolz und versunken, sie sind narzißtisch an tauchende Schwäne
und kühlende Sterne verloren. Sie stellen die Frau auf das Piedestal
von Heiligen und unnahbaren Göttinnen; auf die entrückte Höhe der
eigenen Mutter. »Ich ging mit Frauen um wie mit Freunden«, heißt
es in
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