Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
ehe du ein Glück
finden und das dir Bestimmte erreichen kannst.«
So spricht eine Zauberin, vor der ein stürmender Jüngling, ein junger
Dichter steht, der sich mit allen Problemen des Lebens
herumzuschlagen gedenkt und den doch tief innen eine Fessel bindet
und lauschen läßt. Er ist geneigt, die Aufgabe, die diese Frau ihm
stellt, eine verrückte Weiberlaune zu schelten und wirft sie in
Gedanken von sich. Dann aber widerspricht in seinem Innern etwas,
ein sehr feiner, heimlicher Schmerz, eine ganz zarte, kaum hörbare
Mahnung.
»Er begann zu schreiben«, fährt der Dichter fort, »er wollte Jahr um
Jahr zurück, seine wichtigsten Erlebnisse niederschreiben, um sie
einmal wieder fest in Händen zu haben...« Aber: »Erschreckend
blickte er auf: war das das Leben? War dies alles? Und er schlug sich
vor die Stirn und lachte gewaltsam.« Schließlich, im ferneren Verlauf
des Märchens, findet er doch zurück, und das Leben schließt seinen
Kreis, und der Traum ist wieder da, den er als kleiner Knabe
geträumt: daß er in den Kelch der Iris hinabschritte, und »hinter ihm
schritt und glitt die ganze Welt der Bilder mit und versank im
Geheimnis, das hinter allen Bildern liegt...«
80
1902 war des Dichters Mutter gestorben. Nun heiratet er 1904 und
zieht in das kleine, entlegene Dorf Gaienhofen am Bodensee. Er
wohnt dort die ersten drei Jahre in einem einfachen Bauernhaus sehr
bescheiden, dann baut er sich selbst ein Haus, in dem er bis 1912
bleibt, um dann nach Bern, abermals aufs Land, überzusiedeln. »In
Gaienhofen«, so schreibt Hesse, »wohin mein Tübinger Freund
Ludwig Finckh mir folgte, lebte ich acht Jahre, im Versuch, ein
natürliches, fleißiges, der Erde nahes Leben zu führen.« Das ist der
äußere Rahmen. Das zitierte Märchen aber zeigte bereits einen
anderen Hesse, ließ einen Blick tun in die Seele des Dichters, und es
waren da Erwartungen und Forderungen von Harmonie und
Musikalität, denen seine unverbrauchte, zwiespältige Natur
widerstrebte, ohne sich losreißen, ohne dem Zauber entgehen zu
können.
Von den in Gaienhofen entstandenen Büchern läßt kaum eines diese
Problematik ahnen. Die wenigen Skizzen vom Bodensee, die in das
»Bilderbuch« aufgenommen sind, verraten mehr von der inneren
Situation als die bekannten Novellenbände und Romane jener Zeit.
Einen Aufschluß gibt auch der »Kurzgefaßte Lebenslauf«: »Jetzt also
war«, so heißt es dort, »unter so vielen Stürmen und Opfern, mein
Ziel erreicht: ich war, so unmöglich es geschienen hatte, doch ein
Dichter geworden und hatte, wie es schien, den langen zähen Kampf
mit der Welt gewonnen. Die Bitternis der Schul- und Werdejahre, in
der ich oft sehr nah am Untergang gewesen war, wurde nun
vergessen und belächelt – auch die Angehörigen und Freunde, die
bisher an mir verzweifelt waren, lächelten mir jetzt freundlich zu. Ich
hatte gesiegt. Mein äußeres Leben verlief nun eine ganze Weile ruhig
und angenehm. Ich hatte Frau, Kinder, Haus und Garten. Ich schrieb
meine Bücher, ich galt für einen liebenswürdigen Dichter und lebte
mit der Welt in Frieden... Ich machte schöne Reisen in der Schweiz,
in Deutschland, in Österreich, in Italien, in Indien. Alles schien in
Ordnung zu sein.«
Bis zum Ausbruch des Krieges mußte es dem Dichter scheinen, als
sei seine Entwicklung abgelaufen; tatsächlich war sie nur in eine
Sackgasse geraten. Er faßt seinen Erfolg als einen Beweis dafür auf,
daß er kein Taugenichts und Schlemihl sei; gerade dies aber zu sein,
war einmal sein Ideal gewesen, oder er hatte den Chamisso und den
81
Eichendorff nie ernstgenommen. Der junge Schriftsteller Hesse ist
noch mit allem Für und Wider, mit seiner ganzen Lebenshaltung an
die Beurteilung durch Eltern und Verwandte gebunden. Es gefällt
ihm, denen zu Haus bewiesen zu haben, daß auch die Schriftstellerei
einen goldenen Boden haben kann, wenn nur das helle, wache Talent
nicht fehlt. Es schmeichelt ihm, soviel Widrigkeiten untergekriegt und
dargetan zu haben, daß Dichter keineswegs Leute sind, die mit
Schnurranten und Seiltänzern auf einer Stufe stehen. Es entgeht
ihm, daß er sich zu einer Gesinnung verlocken läßt, die seinem
besseren Wissen, seinem Artistentum, seiner abseitigen Verliebtheit
in die Ironie und in entlegene Gefühle doch sehr widerspricht.
Vielleicht hätte er, statt zu heiraten, nach Paris fahren und sich in
alle Strudel der Weltstadt stürzen sollen. Dort in Paris
Weitere Kostenlose Bücher