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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
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bleiben
    wird, die den Orient mit dem deutschen Geiste verbinden. Und finde,
    daß es eine Bereicherung der religiösen Dialektik bedeutet, dieser
    Sprache nachzuforschen, sie anzugraben und in ihre Wirklichkeiten
    aufzulösen. So suchte Johann Wolfgang in seinem »Östlichen Diwan«
    die Poesie des Orients »dem deutschen Geiste anzueignen«, und er
    hat, mehr als hundert Gelehrte seiner Zeit, den Orient aufgefangen
    und ihn den Generationen vererbt. Es ist unwichtig, ob er den Orient
    immer »richtig« verstanden und seine Lehre genau verdolmetscht
    hat; er tat dies in Versen, die unvergänglich sind; in Verkürzungen,
    die zum Denkmal seines Beginnens wurden. Das Zeichen ist des
    Dichters Gebiet, nicht die Lehre. Das Aufzeigen und Hindeuten –, die
    Bedeutung obliegt ihm, nicht die Abstraktion.
    Doch ehe von »Siddhartha« weiter zu sprechen ist, seien die
    schweren Widerstände betrachtet, denen gerade ein solches Gedicht
    schon in der Zeit seines Werdens begegnen mußte. Fast wider Willen
    fand Hesse sich mit dem »Demian« in die Tiefe einer Welt gerissen,
    die ihre Dämonismen an ihm selber erwies. Er hatte einen Urort,
    hatte den Muttergrund der Dinge berührt und mußte, beim Vergleich
    mit der Umgebung, wie sie inzwischen sich gestaltet hatte, auf neue
    Entfremdung gefaßt sein. Aus Tönen, Worten und anderen

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    zerbrechlichen Dingen Spielwerke erbauen, Weisen und Lieder voll
    Sinn und Trost und Güte –: konnte das 1918 noch als eine
    Beschäftigung gelten? Hatte das Leben, das schon im »Demian«
    reichlich nach Unsinn und Verwirrung, nach Wahn und Traum
    geschmeckt –: hatte es inzwischen nicht den letzten Rest von Reiz
    und Segen eingebüßt?
    Was hieß das doch: ein Dichter sein? Wer hatte für verliebtes
    Spielzeug noch einen Sinn? War die Liebe nicht über Nacht zur
    Religion und zur Theologie geworden, wenn nicht gar zur Kabbala
    und ähnlichen tiefsinnigen Dingen? Drängte nicht die rapide
    Entwertung den Menschen und so auch den Dichter, die letzten
    Ankergründe zu umklammern? Und die Natur, in Gase und Qualm
    gehüllt, zerfetzt und zerwühlt, voll Pulver- und Brandgeruch –: wen
    konnte sie noch trösten? Wo war jetzt Calw? Wo Gaienhofen? Waren
    sie nicht durchtrampelt von Kommisstiefeln, geschändet von
    Munitionsfabriken und Übungsplätzen? Morgen schon konnte eine
    verirrte Fliegerbombe die Nagoldbrücke ins Wasser werfen. Nichts
    war mehr sicher, nichts stand mehr fest.
    Litten denn andere auch so maßlos? Oder hatten sie Mensch und
    Kreatur schon vorher nicht geliebt, daß sie die Papierhölle in sich
    hineinaßen, heißhungriger als das tägliche Brot? Daß sie sich bis zum
    Kannibalismus erniedrigen ließen? Wo waren die Dichter jetzt, von
    denen der schwäbische Landsmann sagte, daß ihnen der Menschheit
    Würde anvertraut sei? Die einst die Würde vertreten hatten, sie
    wurden von nationalen Reklamechefs ausgespielt. Zu Dutzenden spie
    dieser Apparat die Kulturträger über die Grenze ins kleine
    Schweizerland, um sie als Aushängegrößen zu nutzen. Es war ein
    fabelhaftes, ein grandioses Transportgeschäft, eine Karawanserei in
    geistigen Werten, eine Großindustrie im Seelenangebot und
    Verbrauch. Und alle boten sich willig dar; es waren kleine rührende
    Oasen, wenn in einem abseitigen Berliner Blättchen jemand der
    Deutschsprechung Nietzsches sich widersetzte; und es war ein
    vollkommenes Wunder, eine Marsbegegnung, wenn Gustav Landauer
    jetzt, in solcher Zeit, von Stifter und Hölderlin sprach.
    Die Politiker, nicht die Dichter, vertraten jetzt die Menschlichkeit, und
    es schien, als solle das für geraume Zeit so bleiben. Soweit sie aber
    menschlich sympathisch waren, gehörten diese Politiker der

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    äußersten Linken an, waren sie Kommunisten und Anarchisten,
    waren sie Barrikadenmänner und als solche verfemt, verfolgt,
    gehetzt, und man zog ihnen das Fell über die Ohren, wenn man sie
    erwischte. Sie hielten es mit der Masse und suchten zu ihr einen
    letzten Rest von Romantik zu flüchten. Verglich man sich mit ihnen –
    und ein lernbegieriger Schüler tat das –, so war man doch anders.
    Man stammte aus dem Kleinbürgertum, nicht aus dem Proletariat.
    Man hatte gegen den kategorischen Imperativ auch mancherlei
    einzuwenden und nicht damit zurückgehalten. Aber dann war der
    Erfolg bei dieser Welt gekommen; man hatte sich nobilitiert. Und
    man hatte, im »Knulp«, den Antibürger energisch wiederbetont; aber
    es war doch ein Antibürgertum, das Manieren hatte,

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