Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
gute,
erfreuliche Zeit für mich, an der ich zeitlebens reichlich zu zehren
haben werde.« Den Hesse-Philologen möchte ich jenes Büchlein
(»Guter Rat für Leidende aus dem altisraelitischen Psalter«, Basel
1909) und überhaupt von da an die Schriften des Vaters sehr ans
Herz legen. Sie enthalten ein gut Stück Entstehungsgeschichte und
Hintergrund zum »Siddhartha«. Denn der Präzeptor Lohse in
»Gertrud«, der die Karma-, die Schicksalslehre vorträgt, ist kein
anderer als des Dichters Vater selbst. Er ist, von Blutsbanden ganz
unabhängig, der erste Freund und auch der erste Mystagoge seines
Sohnes gewesen.
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»Küsset den Sohn«, heißt eine der Kapitelüberschriften im »Guten
Rat«. In diesem Kapitel ist auch auf den Gegensatz zwischen dem
persönlichen Christentum und dem unpersönlichen Orient, auf die
Brahmanen und auf Buddha, auf Konfutse und Laotse, spätere innige
Verehrungen
des
Dichters,
hingewiesen.
Es
ist
nicht
unwahrscheinlich, daß Hesse vor der Niederschrift von »Gertrud«, wo
Karmalehre und Theosophie zum ersten Male in seinen Schriften
auftauchen, den Vater besucht und sich in seinen Nöten ihm eröffnet
hatte. Auch Goethens »Westöstlicher Diwan« ist in des Vaters
Büchlein des öftern zitiert; er scheint ihn gut gekannt zu haben.
Seine Belesenheit hält sich an die Spitzen der Literatur; seine Person
ist, wenn man die späteren Bildnisse mit den früheren vergleicht,
seltsam gewachsen. Zwar sagt der gemütskranke Musiker noch in
»Gertrud«: »Die Lehre widersprach meinem Gefühl unmittelbar, sie
schmeckte
auch
ein
wenig
nach
Katechismus
und
Konfirmandenunterricht, an welche ich, wie jeder gesunde junge
Mensch, mit Abscheu und Verachtung dachte.« Aber in »Unterwegs«,
und zwar in den Zeitgedichten, taucht (September 1914) auch die
»Bhagavad Gita« auf:
Krieg und Friede, beide gelten gleich,
Denn kein Tod berührt des Geistes Reich.
Ob des Friedens Schale steigt, ob fällt,
Ungemindert bleibt das Weh der Welt.
Lange vorher schon, 1911, zur Zeit der Indienreise, ist die Gestalt
des Vaters im »Singapur-Traume« mild geworden. »Ich lehre dich
nicht, ich erinnere dich nur«, spricht die vertraute Stimme. 1913
erscheint ein Buch des Vaters, »Aus Henry Martyns Leben, Briefen
und Tagebüchern«, und es ist die Geschichte eines indischen und
persischen Missionars. Johannes Hesse verfügt darin über eine große
Skala der Darstellungsmittel. Politisch-religiöse, kulturelle und
ethnographische Interessen zeigen das Bild jenes evangelischen
Märtyrers in vielseitiger Beleuchtung. Nur die Musik der Sprache fehlt
diesem Buche, um es zu einem Meisterstück der Memoirenliteratur
zu erheben. Und merkwürdig: im selben Jahre 1913 erscheint des
Sohnes Buch »Aus Indien« und enthält als wichtigstes Stück die
Erzählung »Robert Aghion«, und es ist ebenfalls die Geschichte eines
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Missionars. Sie ist, mit den Kenntnissen des Vaters verglichen,
einförmig und fast dürftig; aber sie hat Musik, sie hat jenes gewisse
Etwas, das den Dichter vom Schriftsteller unterscheidet.
Aber weiter. 1914 publiziert der Vater in den Basler Missionsstudien
eine Broschüre »Laotse, ein vorchristlicher Wahrheitszeuge«, und
1914 in einem durch den Krieg abgebrochenen Romanfragment »Das
Haus der Träume« finde ich beim Sohne die ersten Spuren
chinesischer Studien. Diese Studien treten dann in den »Märchen«
und später im »Klingsor« stark hervor, um schließlich im
»Kurzgefaßten Lebenslauf« bis zu jener lustigen Praktizierung des
chinesischen Zauberbuches »I Ging« zu führen, nach dessen
Anweisung der Verfasser in ein selbstgemaltes Eisenbähnchen steigt
und sich chinesischerweise auf Nimmerwiedersehn empfiehlt.
1916 ist das Jahr, in dem des Dichters Vater in Kornthal gestorben
ist. Des Sohnes erschütterter Nachruf steht im »Bilderbuch«. »Ich
sah mein Leben rückwärts nicht wie ein launig gewundenes Tal«, so
heißt es da, »sondern als einzige, harte, schnurgerade Straße
unerbittlicher Notwendigkeit, vom Vater her und zu ihm
zurückführend... Er war, wenn auch nicht ein Heiliger, doch aus dem
seltenen Stoffe, aus dem die Heiligen gemacht werden... Jetzt sah
ich ihn wieder ganz... die edle hohe Stirn und alle ihre schönen
Flächen, die hohe Wölbung der über erblindeten Augen
geschlossenen Lider... Und alles Ritterliche und überlegen Edle, das
er im Wesen gehabt, stand überklar in seinem Gesicht
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