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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
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der
    Tempelstädte entfaltet; er hätte nach jahrelangen geographischen
    und ethnologischen Studien ein Bild ähnlich seiner »Salambo«
    entworfen und hätte es mit gelehrten Nachweisen und Noten
    versehen, ähnlich seiner »Versuchung des heiligen Antonius«. Hesse
    verzichtet darauf sehr bewußt. Es ist ihm nicht um den Prunk zu tun;
    er könnte nicht von Askese schreiben, indem er die Büßer unter dem
    Mangobaum an den Knöcheln hängend vorführt in einer
    wohlgesättigten Sprache und einem Buche von fetter Beleibtheit. Er
    nimmt die Yogaübungen in seinen Stil auf; seine Sprache ist auf das
    Knochengerüste reduziert. Zucht lautet jede wohlgemessene
    Vokabel; harte Entbehrung zeigt sein Satzbau, der sich kein, auch
    nur leise lockerndes, Abschwenken vom Notwendigen erlaubt. Keine
    Schilderung will er geben; es wäre ein Stilwiderspruch. Hunger und
    Durst kennt diese Sprache, und darum glüht ihr Gefüge wie jene
    Ravenna-Mosaiken, die der Dichter, da er Ravennas gedenkt,
    verschwiegen hat.

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    Mit dem »Camenzind« verglichen, hat der »Siddhartha« eine ganz
    andere Weite und Höhe; die Entwicklung des Dichters in den
    dazwischen liegenden Jahren angestrengter Arbeit und ausgedehnter
    Studien ist enorm. Das kleine Nimikon, aus dem der Camenzind
    kam, ist verschwunden. Im »Siddhartha« beginnt die Entwicklung in
    einem
    fürstlichen
    Priesterhaus
    und
    endet
    im
    breiten,
    symbolbeladenen Strome der weiten Welt. Im »Camenzind« stehen
    die Berge, die tote Natur und ein verdächtiges Unterstreichen von
    Weitgereistsein, von Kenntnissen und Erfahrungen hervor. Im
    »Siddhartha« ist eher ein zu ängstliches Beschneiden und Verbergen
    von Talent und Wissen wahrzunehmen. Im »Camenzind« stehen die
    Berge, die tote Natur, steht ein menschenleeres Paradies im
    Mittelpunkt. Im »Siddhartha« dagegen ist es das Haus des
    Kaufmanns, das Haus der Kurtisane. Gleichwohl könnten Camenzind
    und Siddhartha einander verstehen, und zwar dort, wo der erstere
    beginnt und wo der letztere aufhört, und also doch wieder in der
    Natur, bei der Mutter.
    Die Lehre des »Siddhartha«, wenn man davon sprechen will, führt
    vom Priesterhause weg an den Fluß, zum Natursymbol. Ob es ein
    indisches oder ein schweizerisches Paradies sei: immer doch ist es
    ein Naturparadies, nicht ein »geistiges«. Immer ist es das »Reich
    Gottes auf Erden«, und das Diesseits ist betont. Und da wie dort ist
    es der einzelne, der diese Welt vertritt; der sie sich im Gegensatze
    zu den andern, zu allen andern, erobern muß. Immer ist es ein
    Protestierender, ob er laut oder stumm protestiere. Immer sind es
    die greifbaren, die nächsten, die menschlichsten Dinge, die dem
    schönen Scheine erobert und in ihn aufgelöst werden sollen. Es gilt
    keine äußere Autorität, heiße sie Vater oder Gautamo Buddha; nur
    die Stimme des eigenen Innern gilt. Es gilt kein errungener Besitz
    und keine geprägte Form, mögen sie wie im »Camenzind«
    Zivilisation oder wie im »Siddhartha« Offenbarung heißen. An die
    harte Welt der Dinge soll die Liebe anknüpfen, nicht an Gedanken,
    die von den Dingen herkommen. Woher aber kommt die Liebe? Sie
    ist wohl eine Gnade, ein Urphänomen, wie die Dinge selbst voll der
    Gnade sind. Und nur wo Gnade und Gnade sich treffen, wo der
    brüderliche Einklang, wo die Möglichkeit einer Verwandlung des
    Steins in den Erleuchteten und des Erleuchteten in den Stein

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    empfunden wird: nur dort ist für Siddhartha Gott. Oder besser: dort
    ist für ihn die ewige Mutter.
    Aber Siddhartha liebt die Lehren überhaupt nicht. Er ist kein
    Philosoph und Theologe, sondern ein Dichter, ein Poet. Er sagt, daß
    Lehren nur dialektische Bedeutung haben; daß Askese und Nirwana
    bloße Begriffswerkzeuge für vieldeutige Welten des inneren Blickes,
    daß sie nur Worte sind. Über Gedanken und Worten steht ihm der
    Glaube. Wer an den Fluß glaubt und immerfort glaubt, doch es kann
    auch der Wind und ein Vogel, ein Käfer, sogar ein Mensch sein –:
    dem locken die Dinge den innersten Quell seines Wesens ab, bis sie
    göttliche Zeichen werden. Es bedarf dazu weder im »Camenzind«
    noch im »Siddhartha« der Bücher.
    Wenn es nun auch der Widerspruch ist, an Worte gleichwohl zu
    glauben, so finde ich doch, daß gerade die Sprache dieses Buches,
    die so unendlich gewissenhaft, mit so erhabenem Akzent der Poesie
    und des Gedankens dahinschreitet –, so finde ich doch, daß dieses
    Buch gerade seiner »Worte« wegen eines der Denkmale

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