Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
der
Tempelstädte entfaltet; er hätte nach jahrelangen geographischen
und ethnologischen Studien ein Bild ähnlich seiner »Salambo«
entworfen und hätte es mit gelehrten Nachweisen und Noten
versehen, ähnlich seiner »Versuchung des heiligen Antonius«. Hesse
verzichtet darauf sehr bewußt. Es ist ihm nicht um den Prunk zu tun;
er könnte nicht von Askese schreiben, indem er die Büßer unter dem
Mangobaum an den Knöcheln hängend vorführt in einer
wohlgesättigten Sprache und einem Buche von fetter Beleibtheit. Er
nimmt die Yogaübungen in seinen Stil auf; seine Sprache ist auf das
Knochengerüste reduziert. Zucht lautet jede wohlgemessene
Vokabel; harte Entbehrung zeigt sein Satzbau, der sich kein, auch
nur leise lockerndes, Abschwenken vom Notwendigen erlaubt. Keine
Schilderung will er geben; es wäre ein Stilwiderspruch. Hunger und
Durst kennt diese Sprache, und darum glüht ihr Gefüge wie jene
Ravenna-Mosaiken, die der Dichter, da er Ravennas gedenkt,
verschwiegen hat.
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Mit dem »Camenzind« verglichen, hat der »Siddhartha« eine ganz
andere Weite und Höhe; die Entwicklung des Dichters in den
dazwischen liegenden Jahren angestrengter Arbeit und ausgedehnter
Studien ist enorm. Das kleine Nimikon, aus dem der Camenzind
kam, ist verschwunden. Im »Siddhartha« beginnt die Entwicklung in
einem
fürstlichen
Priesterhaus
und
endet
im
breiten,
symbolbeladenen Strome der weiten Welt. Im »Camenzind« stehen
die Berge, die tote Natur und ein verdächtiges Unterstreichen von
Weitgereistsein, von Kenntnissen und Erfahrungen hervor. Im
»Siddhartha« ist eher ein zu ängstliches Beschneiden und Verbergen
von Talent und Wissen wahrzunehmen. Im »Camenzind« stehen die
Berge, die tote Natur, steht ein menschenleeres Paradies im
Mittelpunkt. Im »Siddhartha« dagegen ist es das Haus des
Kaufmanns, das Haus der Kurtisane. Gleichwohl könnten Camenzind
und Siddhartha einander verstehen, und zwar dort, wo der erstere
beginnt und wo der letztere aufhört, und also doch wieder in der
Natur, bei der Mutter.
Die Lehre des »Siddhartha«, wenn man davon sprechen will, führt
vom Priesterhause weg an den Fluß, zum Natursymbol. Ob es ein
indisches oder ein schweizerisches Paradies sei: immer doch ist es
ein Naturparadies, nicht ein »geistiges«. Immer ist es das »Reich
Gottes auf Erden«, und das Diesseits ist betont. Und da wie dort ist
es der einzelne, der diese Welt vertritt; der sie sich im Gegensatze
zu den andern, zu allen andern, erobern muß. Immer ist es ein
Protestierender, ob er laut oder stumm protestiere. Immer sind es
die greifbaren, die nächsten, die menschlichsten Dinge, die dem
schönen Scheine erobert und in ihn aufgelöst werden sollen. Es gilt
keine äußere Autorität, heiße sie Vater oder Gautamo Buddha; nur
die Stimme des eigenen Innern gilt. Es gilt kein errungener Besitz
und keine geprägte Form, mögen sie wie im »Camenzind«
Zivilisation oder wie im »Siddhartha« Offenbarung heißen. An die
harte Welt der Dinge soll die Liebe anknüpfen, nicht an Gedanken,
die von den Dingen herkommen. Woher aber kommt die Liebe? Sie
ist wohl eine Gnade, ein Urphänomen, wie die Dinge selbst voll der
Gnade sind. Und nur wo Gnade und Gnade sich treffen, wo der
brüderliche Einklang, wo die Möglichkeit einer Verwandlung des
Steins in den Erleuchteten und des Erleuchteten in den Stein
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empfunden wird: nur dort ist für Siddhartha Gott. Oder besser: dort
ist für ihn die ewige Mutter.
Aber Siddhartha liebt die Lehren überhaupt nicht. Er ist kein
Philosoph und Theologe, sondern ein Dichter, ein Poet. Er sagt, daß
Lehren nur dialektische Bedeutung haben; daß Askese und Nirwana
bloße Begriffswerkzeuge für vieldeutige Welten des inneren Blickes,
daß sie nur Worte sind. Über Gedanken und Worten steht ihm der
Glaube. Wer an den Fluß glaubt und immerfort glaubt, doch es kann
auch der Wind und ein Vogel, ein Käfer, sogar ein Mensch sein –:
dem locken die Dinge den innersten Quell seines Wesens ab, bis sie
göttliche Zeichen werden. Es bedarf dazu weder im »Camenzind«
noch im »Siddhartha« der Bücher.
Wenn es nun auch der Widerspruch ist, an Worte gleichwohl zu
glauben, so finde ich doch, daß gerade die Sprache dieses Buches,
die so unendlich gewissenhaft, mit so erhabenem Akzent der Poesie
und des Gedankens dahinschreitet –, so finde ich doch, daß dieses
Buch gerade seiner »Worte« wegen eines der Denkmale
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