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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
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sehr
    schmerzlicher Abschied für Hesse. Aber es gab noch schmerzlichere.
    Abschiede genug gab es damals. Gegen das Ende des Krieges löst
    eine schwere Gemütskrankheit der Gattin des Dichters die letzten
    Bindungen an Familie und Gesellschaft, auch an die früheste Heimat,
    an Basel. »Oft schien Hiob mir mein Bruder zu sein«, liest man in
    »Sinclairs Notizbuch«. Und im »Lebenslaufe« bekennt der Dichter:
    »Mit dem Ende des Krieges fiel auch die Vollendung meiner
    Wandlung und die Höhe der Prüfungsleiden zusammen. Diese Leiden
    hatten mit dem Kriege und dem Weltschicksal nichts mehr zu tun.
    Ich fand allen Krieg und alle Mordlust der Welt, all ihren Leichtsinn,
    all ihre rohe Genußsucht, all ihre Feigheit in mir selber wieder, hatte
    erst die Achtung vor mir selbst, dann die Verachtung meiner selbst
    zu verlieren, hatte nichts anderes zu tun als den Blick ins Chaos zu
    Ende zu tun, mit der oft aufglühenden, oft erlöschenden Hoffnung,
    jenseits des Chaos wieder Natur, wieder Unschuld zu finden.«
    Alles scheint sich verschworen zu haben, um den Spielmenschen im
    Künstler, das ewige Kind, zu verderben. Wo soll, unter stürzenden
    Trümmern, das Gemüt noch Freude finden, und es ist, nach Fontanes
    Wort, doch die erste Bedingung, daß der Dichter, wenn er schaffen
    wolle, fröhlich sei. Wo soll das Harmlose noch zu finden sein, wenn
    die eigenen Triebe verdächtig geworden, wenn die Gedanken im
    Wirbel gehen? Was sind jetzt noch die Arien aus Don Giovanni und
    aus der Zauberflöte? Sind sie nicht ebenfalls Schöntuerei und
    lächerliches Gestelze? Was bleibt von all den Gesamtausgaben der
    Dichter; was bleibt von dem Bücherstoß, der erschreckend sein
    Wachstum nicht einstellt? Was ist noch wahr? Was kann man noch
    lesen? Was hält im Weltgerichte noch stand?
    Es ist jene Zeit, in der die Dichter sich ihre eigenen früheren Lieder
    vorsingen und das zierliche Bändchen sachte auf den Boden sinken
    lassen.

    126
    Voll von Freunden war mir die Welt,
    Als mein Leben noch licht war;
    Nun,
    da
    der
    Nebel
    fällt,
    Ist keiner mehr sichtbar.
    Oder das andere:
    Ich
    bin
    in
    diesen
    Mauern
    Der einzige fremde Mann zur Stund,
    Es trinkt mein Herz mit Trauern
    Den Kelch der Sehnsucht bis zum Grund.
    Wer das große Sterben überstanden hat, der beginnt sich der Jugend
    zu erinnern und wirbt um sie. Und wieder hat man eigentlich alles
    schon gesagt, und es wäre töricht, es nochmals und nochmals zu
    sagen. Und der Dichter möchte ein Fenster seiner Stube öffnen,
    möchte sich auf eine Altane, auf ein Dach stellen; nur rufen möchte
    er:
    Ich grüße euch, die ihr wachet!
    Euch, die ihr liegt in Not und Leid,
    Euch, die ihr lärmet und lachet
    Und die ihr alle meine Brüder seid!
    Es will kein rechtes Echo geben; die Luft scheint keinen Schall mehr
    zu tragen. Es ist, als sei alle Welt gestorben und zur grauen Mumie
    verwandelt. Man hat an dem Rufer, an dem sehnsüchtigen armen
    Teufel, der auf der Straße irrt und ein heimlicher König ist, man hat
    an ihm, und darauf muß man bestehen, allerlei auszusetzen. Man hat
    zu beanstanden, daß er kein Führer ist; so ein Führer mit der
    Trompete und dem großen Mundwerk; so etwas wie ein Possart und
    Ehrhardt in einem. Und er ist auch kein Erlöser, bitte sehr, und einen
    Erlöser brauchen wir, der unsere Kräfte entbindet. Und überhaupt,
    dieser Hermann Hesse kann gar nicht mehr harmonisch dichten, wie
    früher einmal; so etwas Feines, Sinniges, das man ungestört wieder
    aus der Hand legen kann.

    127
    Und Hesse antwortet darauf in seinem »Lebenslauf« (so sehr ist er
    verbunden, daß er noch immer antwortet: auf jeden Brief eines
    fernen Schullehrers, auf jeden Glückwunsch eines verkümmerten
    Mädchens, auf jeden Anhieb eines öden Studenten): »Die Freunde
    hatten recht, wenn sie mir vorwarfen, meine Schriften hätten
    Schönheit und Harmonie verloren. Solche Worte machten mich nur
    lachen – was ist Schönheit oder Harmonie für den, der zum Tod
    verurteilt ist, der zwischen einstürzenden Mauern um sein Leben
    rennt?« Von den drei Aufsätzen, die Hesse damals schreibt und die in
    der Broschüre »Blick ins Chaos« zuerst im Seldwyla-Verlag in Bern
    erschienen, ist der erste bezeichnend genug »Die Brüder Karamasow
    oder der Untergang Europas«.
    Das katholische Asien dringt in Hesses bisher nach Ursprung und
    Blickfeld noch immer sehr protestantisch orientierte Welt ein. Der
    Untergang Europas war 1919 eine Parole, die sich, von offizieller
    Seite

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