Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
sehr
schmerzlicher Abschied für Hesse. Aber es gab noch schmerzlichere.
Abschiede genug gab es damals. Gegen das Ende des Krieges löst
eine schwere Gemütskrankheit der Gattin des Dichters die letzten
Bindungen an Familie und Gesellschaft, auch an die früheste Heimat,
an Basel. »Oft schien Hiob mir mein Bruder zu sein«, liest man in
»Sinclairs Notizbuch«. Und im »Lebenslaufe« bekennt der Dichter:
»Mit dem Ende des Krieges fiel auch die Vollendung meiner
Wandlung und die Höhe der Prüfungsleiden zusammen. Diese Leiden
hatten mit dem Kriege und dem Weltschicksal nichts mehr zu tun.
Ich fand allen Krieg und alle Mordlust der Welt, all ihren Leichtsinn,
all ihre rohe Genußsucht, all ihre Feigheit in mir selber wieder, hatte
erst die Achtung vor mir selbst, dann die Verachtung meiner selbst
zu verlieren, hatte nichts anderes zu tun als den Blick ins Chaos zu
Ende zu tun, mit der oft aufglühenden, oft erlöschenden Hoffnung,
jenseits des Chaos wieder Natur, wieder Unschuld zu finden.«
Alles scheint sich verschworen zu haben, um den Spielmenschen im
Künstler, das ewige Kind, zu verderben. Wo soll, unter stürzenden
Trümmern, das Gemüt noch Freude finden, und es ist, nach Fontanes
Wort, doch die erste Bedingung, daß der Dichter, wenn er schaffen
wolle, fröhlich sei. Wo soll das Harmlose noch zu finden sein, wenn
die eigenen Triebe verdächtig geworden, wenn die Gedanken im
Wirbel gehen? Was sind jetzt noch die Arien aus Don Giovanni und
aus der Zauberflöte? Sind sie nicht ebenfalls Schöntuerei und
lächerliches Gestelze? Was bleibt von all den Gesamtausgaben der
Dichter; was bleibt von dem Bücherstoß, der erschreckend sein
Wachstum nicht einstellt? Was ist noch wahr? Was kann man noch
lesen? Was hält im Weltgerichte noch stand?
Es ist jene Zeit, in der die Dichter sich ihre eigenen früheren Lieder
vorsingen und das zierliche Bändchen sachte auf den Boden sinken
lassen.
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Voll von Freunden war mir die Welt,
Als mein Leben noch licht war;
Nun,
da
der
Nebel
fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.
Oder das andere:
Ich
bin
in
diesen
Mauern
Der einzige fremde Mann zur Stund,
Es trinkt mein Herz mit Trauern
Den Kelch der Sehnsucht bis zum Grund.
Wer das große Sterben überstanden hat, der beginnt sich der Jugend
zu erinnern und wirbt um sie. Und wieder hat man eigentlich alles
schon gesagt, und es wäre töricht, es nochmals und nochmals zu
sagen. Und der Dichter möchte ein Fenster seiner Stube öffnen,
möchte sich auf eine Altane, auf ein Dach stellen; nur rufen möchte
er:
Ich grüße euch, die ihr wachet!
Euch, die ihr liegt in Not und Leid,
Euch, die ihr lärmet und lachet
Und die ihr alle meine Brüder seid!
Es will kein rechtes Echo geben; die Luft scheint keinen Schall mehr
zu tragen. Es ist, als sei alle Welt gestorben und zur grauen Mumie
verwandelt. Man hat an dem Rufer, an dem sehnsüchtigen armen
Teufel, der auf der Straße irrt und ein heimlicher König ist, man hat
an ihm, und darauf muß man bestehen, allerlei auszusetzen. Man hat
zu beanstanden, daß er kein Führer ist; so ein Führer mit der
Trompete und dem großen Mundwerk; so etwas wie ein Possart und
Ehrhardt in einem. Und er ist auch kein Erlöser, bitte sehr, und einen
Erlöser brauchen wir, der unsere Kräfte entbindet. Und überhaupt,
dieser Hermann Hesse kann gar nicht mehr harmonisch dichten, wie
früher einmal; so etwas Feines, Sinniges, das man ungestört wieder
aus der Hand legen kann.
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Und Hesse antwortet darauf in seinem »Lebenslauf« (so sehr ist er
verbunden, daß er noch immer antwortet: auf jeden Brief eines
fernen Schullehrers, auf jeden Glückwunsch eines verkümmerten
Mädchens, auf jeden Anhieb eines öden Studenten): »Die Freunde
hatten recht, wenn sie mir vorwarfen, meine Schriften hätten
Schönheit und Harmonie verloren. Solche Worte machten mich nur
lachen – was ist Schönheit oder Harmonie für den, der zum Tod
verurteilt ist, der zwischen einstürzenden Mauern um sein Leben
rennt?« Von den drei Aufsätzen, die Hesse damals schreibt und die in
der Broschüre »Blick ins Chaos« zuerst im Seldwyla-Verlag in Bern
erschienen, ist der erste bezeichnend genug »Die Brüder Karamasow
oder der Untergang Europas«.
Das katholische Asien dringt in Hesses bisher nach Ursprung und
Blickfeld noch immer sehr protestantisch orientierte Welt ein. Der
Untergang Europas war 1919 eine Parole, die sich, von offizieller
Seite
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