Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
dies Leben doch ab und zu noch eine flüchtige Begegnung und
Freude brachte; daß einem noch das eigene Lied und Leid gefallen
konnte –: dies war ein Trost und enthielt eine Aufforderung zu neuer
Neugier, zu neuem Weiterdringen. Und daß man noch immer den Ruf
in sich fühlte und eine neue Sehnsucht empfand; daß man noch
immer auf Wanderung und unterwegs war; daß die endgültige
Heimat noch nicht gefunden, noch nicht sichtbar und Bild geworden
war; daß man sich das Gefühl bewahrt hatte, noch nicht
angekommen, noch nicht endgültig gelandet zu sein –: dies war ein
weiteres Stimulans und eine Hoffnung.
Schon während des Krieges hatte Hesse ab und zu, wie alle, die
damals in der Schweiz als in einem großen Sanatorium lebten, den
sonnigen Park dieses Landes, den Tessin, aufgesucht. Hier gefiel es
dem Dichter; hierher war der Krieg nur als fernes Echo gedrungen.
Das Ländchen war wundervoll leer von Ausländern, die alle
geflüchtet waren. Die Hotellerie stand leer; es gab noch nicht so
verdammt viele Autos wie sieben Jahre später zur Steppenwolf-Zeit.
Hier, am Südabhang des Gotthard, gab es auch klimatisch eine Art
Ausgleich zwischen Island und Indien: ein wenig mehr Sonne als
anderswo, eine Schale leichten Nostrano, un po' di pane e formaggio.
Die Vegetation subtropisch: es wuchsen da Schlangen- und
Perückenbäume, Korkeichen und andere Seltsamkeiten. Es gab
Berge, die wie Zuckerhüte aussahen; Weingärten, Eidechsen und
blaue Seen.
Hier würde sich leben lassen. Hier könnte man sich wiederfinden und
die Fieberkurve des im Norden Erlebten auf ihr Maß zurückführen.
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Hier würde man sich geborgen fühlen. Und Hesse, der 1919 nach
Friedensschluß seiner belletristischen Verpflichtungen überhoben ist,
entschließt sich, Woltereck sein »Vivos voco« in Bern allein
weiterrufen zu lassen und sich im grünen Tessin ein Sonnenbad von
unbegrenzter Dauer zu gönnen.
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Klingsors letzter Sommer
Von den drei Erzählungen, die »Klingsors letzter Sommer« enthält,
ist das Mittelstück »Klein und Wagner« die erste größere Arbeit, die
Hesse im Tessin (Frühjahr 1919) geschrieben hat. Die Erzählung
»Kinderseele«, die das Buch einleitet, ist schon in dem noch in Bern
erschienenen »Alemannenbuch« des Seldwyla-Verlages enthalten;
»Klein und Wagner« erschien zuerst, gleich manchem Aufsatz und
mancher Besprechung dieser Zeit, in Vivos voco. »Klingsors letzter
Sommer«, das Schlußstück des Trios, ist nicht mehr in Vivos voco
oder sonst einer Berner Publikation, sondern im Deutschland der
ersten Nachkriegszeit erschienen.
Stilistisch sind die beiden in Bern vorabgedruckten Stücke
»Kinderseele« und »Klein und Wagner« einander, der analytischen
Einschläge nach, nah verwandt; auch darin, daß sie an eine
bestimmte soziale Schicht sich wenden, daß sie mit einem strengen,
wohlbekannten Publikum rechnen. Nicht so die Titelerzählung. Sie
macht den Eindruck, als gebe es kein Publikum mehr; als seien alle
Bindungen aufgehoben; als sei keine Gesellschaft mehr vorhanden,
auf die sich der Dichter beziehen, der er sich verständlich machen
möchte oder könne. Diese letztere Erzählung ist eigentlich ein
Monolog, auch wenn darin Zwiesprachen mit Freunden und eine
Umgebung vorhanden sind. Die letzte zusammenfassende Macht, die
Adresse, die Gesittung des Empfängers, dem man verantwortlich ist
und der ganz bestimmte Erwartungen hegt; der vom Dichter eine
Umfriedung von Instinkten und Begierden, eine Lösung von
Schwierigkeiten erwartet: dieses fehlt.
»Klingsors letzter Sommer«, die Titelerzählung, ruht ganz in sich
selbst. Das heißt, sie ruht nicht, sie ist aufgeregt, unruhig, von
Untergangsstimmungen durchzogen. Sie ist flackernd, irr, gehetzt,
eine Selbstaufhebung des Dichters, ein Durchstoßen persönlicher
Behinderungen. Sie ist ein unbändiger Exzeß, eine Übertreibung und
Entartung; ein Brunstschrei, wenn man will. Eine wahnartige Glut
wütet in ihrem eigenen Krater, und dies vor allem darum, weil der
Dichter den Glauben an ein Publikum, an eine aufnehmende und
entgegenkommende, an eine wohltätige Gesittung verloren hat. Das
Buch als Ganzes ist eines der merkwürdigsten, die Hesse
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geschrieben hat. »Man hört die Schlüssel klirren«, schrieb ein
Schweizer Journalist. Gewiß, man hört sie klirren. Aber es sind
Schlüssel zum tiefsten Wesen des Dichters.
Da ist zunächst der Auftakt, die Erzählung »Kinderseele«. Sie
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