Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
eigene Natur ist dem Dichter in ihrer Fragwürdigkeit
aufgegangen. Das Thema ist so groß und ernst, daß es alles andere
Schicksal, alle weitere »Objektivierung« von Erlebnissen in fremder
Gestalt, in sogenannten Romanen vergessen läßt. Hesse schreibt seit
»Demian« seinen eigenen Roman; er sucht sein eigenes Leben, das
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er als Typus empfindet, zu deuten. Das Schlußstück des Klingsor-
Trios krönt den ersten Versuch. Die vielverschlungene Zauber- und
Motivmusik des Bayreuther Meisters ist darin auf den festen Umriß
der Sprache, das tolle Orchester auf eine Kammermusik reduziert.
»Klingsors Zaubergarten ist gefunden!« schrieb Richard Wagner, als
er nach Ravello kam und in der Villa Ruffoli von der breiten
Zypressen- und Blumenterrasse hinaussah auf den unendlichen Azur
des Tyrrhenischen Meers. »Klingsors Zaubergarten ist gefunden!« so
hätte auch der Romantiker Hesse ausrufen können, als er eines
Tages im Frühling 1919 nach Montagnola hinaufkam und vom
kleinen Balkon des Camuzzi-Hauses über den Terrassengarten und
den Luganer See bis weit in die Schneeberge sah. Ich habe beide
Gärten, den des Palazzo Ruffoli und den des Palazzo Camuzzi, und
beide im Frühling gesehen. Der Vergleich ist frappant; das Verhältnis
der tragischen Oper zum Streichquartett und des heroischen
Panoramas zum passionierten Idyll ist in den beiden Gärten aufs
schönste ausgedrückt. Die Analogie geht so weit, daß auch die
maurische Gotik von Ravello ihr Widerspiel findet in den moresken
Türmchen und Söllern des Palazzo Camuzzi. Was dort in Süditalien
architektonisch echter und landschaftlich größer erscheint, das findet
in Montagnola sich ausgeglichen durch die echtere Wesensart des
Dichters, der hier wohnt. Es scheint in der Tat, als sei einmal ein
Sprößling der Familie Camuzzi nach Ravello gekommen, ehe er im
malerischen Tessin sein Haus baute und seinen Garten anlegte.
Hesse hat den Camuzzi-Garten im »Klingsor« gleich zu Beginn, und
also im ersten Tessiner Sommer, der Klingsors letzter werden sollte,
beschrieben. »Klingsor stand, nach Mitternacht, von einem
Nachtgang heimgekehrt, auf dem schmalen Steinbalkon seines
Arbeitszimmers. Unter ihm sank tief und schwindelnd der alte
Terrassengarten hinab, ein tief durchschattetes Gewühl dichter
Baumwipfel, Palmen, Zedern, Kastanien, Judasbaum, Blutbuche,
Eukalyptus, durchklettert von Schlingpflanzen, Lianen, Glyzinen.
Unter der Baumschwärze schimmerten blaßspiegelnd die großen
blechernen Blätter der Sommermagnolien, riesige schneeweiße
Blüten dazwischen halbgeschlossen, groß wie Menschenköpfe, bleich
wie Mond und Elfenbein, von denen durchdringend und beschwingt
ein inniger Zitronengeruch herüberkam. Aus unbestimmter Ferne her
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mit müden Schwingen kam Musik geflogen, vielleicht eine Gitarre,
vielleicht ein Klavier, nicht zu unterscheiden. In den Geflügelhöfen
schrie plötzlich ein Pfau auf, zwei-, dreimal, und durchriß die waldige
Nacht mit dem kurzen, bösen und hölzernen Ton seiner gepeinigten
Stimme, wie wenn das Leid aller Tierwelt ungeschlacht und schrill
aus der Tiefe schelte. See, Berge und Himmel flossen in der Ferne
ineinander.«
Das könnte ein Auftakt sein zu »Tristan und Isolde«. Diese Musik
ließe sich auch in Ravello hören. Sie hat einen tiefen Schmerzakzent
und alle Qual der Liebe, wo sie vom Tod nicht mehr zu trennen und
zu unterscheiden ist. Und merkwürdig genug: der schwüle, üppige,
girrende Ton dieser Schlußnovelle; dieses Hangen und Klagen und
Stöhnen mit der Vergänglichkeit; dieses Stürzen in den Abgrund und
Aufflammen von der Tiefe her; dieselbe Chromatik der leidenden und
der wollüstigen Töne, die sich überschreien, übersteigern, die sich
aufbäumen und versinken: sie sind beiden Meistern, dem von
Ravello und dem von Montagnola, eigen. Ein Furioso der
Leidenschaft durchstößt alle Grenzen, droht die idyllische Landschaft
zu sprengen, geht bis zur Selbstaufhebung und zärtlichen
Verliebtheit ins Ende.
Es ist die Spätromantik, die versäumtes Lieben, versäumtes Leben,
versäumte Tierheit kennt und im letzten Aufbäumen die Jugend
nachzuholen versucht, sie aber überbietet durch alles gereifte Wissen
des Alters. Es ist die ganze, auch die französische Spätromantik, die
hier auf wenige brennende Blätter zusammengedrängt erscheint. Es
sind entartete, atavistische Züge in ihr, die vom Zurückverlangen zur
Mutter schmerzlich getragen sind. Es
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