Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
der
Träume« von 1914 hieß es: »Hast du nie chinesische Erzählungen
gelesen? Du wirst einmal Freude an diesen Chinesenbüchern haben,
es stehen gute Sachen drin. Das und der alte Goethe, der ganz alte
Goethe, ist mir von allen Büchern jetzt das liebste.« Dann tauchten
die Chinesen in den »Märchen« wieder auf. Geschrieben waren diese
Märchen teilweise schon 1916, mitten im Krieg. Man suchte darin
Blumen, sehr viele Blumen, um Gräber, sehr viele Gräber damit zu
bedecken. Der Dichter Han Fook in diesen »Märchen« war ein
Chinese. Er bemühte sich, den Vogelflug so in einer Verszeile, in
einem Liede einzufangen, daß man den Vogel im Liede trefflicher und
schöner fliegen sähe als in der Luft; daß der Vogel eigentlich sterben
mußte, nachdem seine Seele erkannt und ins Lied gebannt war. Nun
sind auch die beiden Dichter Litaipe und Thu Fu in »Klingsors letztem
Sommer« Chinesen. So schwingt sich eine Zauberbrücke vom
Klingsor nach rückwärts zu den »Märchen« und von da zum »Haus
der Träume«.
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Die Chinesen scheinen für Hesse eine besondere Beziehung zum
Zauber, zum Märchen, zur Poesie zu haben. Und zwar im Sinne des
Han Fook, der im flüchtigsten, graziösesten Umriß der Sprache das
ebenso flüchtige Wesen des Lebens auffängt. Die Chinesen sind wohl
für Hesse die nüchternsten Beobachter, aber auch die geduldigsten;
und darum gerade sind sie die besten Verfasser von Märchen und
Zauberbüchern. Darum erschließt sich ihnen das innerste, leiseste,
duftigste Wesen der Dinge, das nur in einer Skala von Andeutungen
sich bewegt. So bekommen sie jene Doppelschicht von bunter
zierlicher Lebensfülle und leisem unterirdischen Gang; von mütterlich
erzählender Weisheit und plötzlich einfallender Verwandlung. Immer
aber sind diese Dichter mit den Augen an die Dinge geheftet, die sie
so lange anschauen und umkreisen, bis deren Lebgeist
hervorzuwesen und die zufällige Hülle abzustreiten beginnt.
Im »Klingsor« hat der Dichter sich als Litaipe, als den Dichter der
berauschtesten Trinklieder eingeführt, zugleich aber auch als Thu Fu,
als den Frommen, der das Lied der Dauer, das Lied vom quellenden
Urgrund, das Lied von der Mutter singt:
Vom Baum des Lebens fällt
Mir
Blatt
um
Blatt,
O
taumelbunte
Welt,
Wie
machst
du
satt,
Wie machst du satt und müd,
Wie machst du trunken!
Was
heut
noch
glüht,
Ist bald versunken.
Und dann beendet Thu Fu sein Lied:
Nur die ewige Mutter bleibt,
Von
der
wir
kamen,
Ihr spielender Finger schreibt
In die flüchtige Luft unsere Namen.
Der Trinker Litaipe aber, der dieses Lied erhält, er antwortet:
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Trunken sitz ich des Nachts im durchwehten Gehölz...
Vieles tat und erlitt ich, Wandrer auf langem Weg,
Nun am Abend sitz ich, trinke und warte bang,
Bis
die
blitzende
Sichel
Mir das Haupt vom zuckenden Herzen trennt.
Er trinkt, ganz offenbar. Aber er trinkt aus dem quellenden Urgrund,
von dem Thu Fu bereits trunken ist, und sein Tod wird ein Ertrinken
im Schoße der Mutter sein, wie des Beamten Klein Tod ein solches
Ertrinken war. Beide Dichter sind berauscht, beide vom Leben, vom
Mutter-Munde und -Grunde. Und doch sind beide von Hesse als
Beobachter, als Chinesen eingeführt; als stille Leuchten, die den
Hexenkessel seiner Erzählung bewachen und ihn vielleicht sogar zum
Überschäumen gebracht haben. Diese beiden Chinesen sind nicht
Untergangsmenschen. Sie sind Menschen vom Aufgang der Sonne
her, sind Asiaten. Sie werden Hesse begleiten, über den Rahmen der
momentanen Erzählung und über das Ende hinaus auf den weiteren
Weg.
Schon gegen das Ende des Klingsorbuches zeigte sich eine
Ernüchterung an. »Klingsor«, so hieß es da, »fühlte gläubig, daß in
diesem grausamen Kampf um sein Bildnis nicht nur Geschick und
Rechenschaft eines einzelnen sich vollziehe, sondern Menschliches,
sondern Allgemeines, Notwendiges. Er fühlte, nun stand er wieder
vor einer Aufgabe, vor einem Schicksal, und alle vorhergegangene
Angst und Flucht und Rausch und Taumel war nur Angst und Flucht
vor dieser seiner Aufgabe gewesen. Nun gab es nicht Angst noch
Flucht mehr, nur noch Vorwärts, nur noch Hieb und Stich, Sieg und
Untergang.« Ein französischer Maler besucht ihn, die Wirtin führt ihn
ins Vorzimmer. »Danke«, sagt Klingsor langsam, »danke, lieber
Freund. Ich arbeite, ich kann nicht sprechen.«
Ja, der Dichter Hesse arbeitet. Und Thu Fu, der eine der beiden
Chinesen aus
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