Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
sind Züge in ihr von
Monomanie und Selbstanbetung und Züge des Verfallenden und
Untergehenden. »Das ist es, heißt es gegen den Schluß der Novelle,
was einige Freunde an dem Bilde besonders lieben. Sie sagen: es ist
der Mensch, ecce homo, der müde, gierige, wilde, kindliche und
raffinierte
Mensch
unserer
späten
Zeit,
der
sterbende,
sterbenwollende Europamensch: von jeder Sehnsucht verfeinert, von
jedem Laster krank, vom Wissen um seinen Untergang
enthusiastisch beseelt, zu jedem Fortschritt bereit, zu jedem
Rückschritt reif, ganz Glut und auch ganz Müdigkeit, dem Schicksal
und dem Schmerz ergeben wie der Morphinist dem Gift, vereinsamt,
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ausgehöhlt, uralt, Faust zugleich und Karamasow, Tier und Weiser,
ganz entblößt, ganz ohne Ehrgeiz, ganz nackt, voll von Kinderangst
vor dem Tode und voll von müder Bereitschaft zu sterben.«
Ich kenne wenig Seiten, selbst bei den Größten, von einer Fülle und
Dichtigkeit wie jene sechs Seiten aus Hesses »Klingsor«, die das
Selbstbildnis des sterbenden Romantikers, des Klingsor-Deutschen
enthalten. Die Sprache dieser Novelle geht, wenn ich so sagen darf,
weit über des Dichters eigenes Maß hinaus. Es ereignet sich hier der
seltene Fall, daß der Künstler eine Wesenssphäre ergreift und
erschöpft, die man vorher nicht als ihm zugehörig vorausgesetzt
hatte. Das ist nur dem Medium möglich, das auf den eigenen Willen
verzichtet hat; dessen Organe infolge einer letzten Erschütterung
zum Werkzeug des Notwendigen und der Symbole selber werden.
Der spätromantische Zug, der bisher einzig im »Lauscher«
aufgefallen war, dieser Zug, der auf die dionysischen Studien von
Basel und Tribschen zurückverweist, gewinnt hier unvermutet die
Ausdehnung einer Hochflut und zerstört vollends das enge und etwas
gedrückte Bild, das man bis zum »Demian« von diesem Dichter
hatte.
Über den Gegensatz von Musiker und Maler in Hesses Werk sprach
ich bereits gelegentlich der Romane »Gertrud« und »Roßhalde«.
Aber dort war das Problem noch kaum bewußt und jedenfalls nicht
die Hauptsache. Hier nun, im »Klingsor«, stoßen die beiden Welten
in einer typischen Figur zusammen. Die »Musik des Untergangs«
vernimmt ein Maler, das heißt nach Hesse ein Künstler, der nicht an
ein abstraktes Gehör, sondern an Wirklichkeit und Greifbarkeit
gebunden ist. Das verschärft alle Leiden. Und Klingsor selbst, der
Zauberkönig, ist nicht ein Musiker mehr, sondern abermals: ein
Maler, wenn auch als solcher immer noch ein Orgiast. Die Musik soll
ihn vom Naturalismus der Farbe befreien. Man könnte aber
umgekehrt auch sagen, daß ihm die Malerei dazu dienen soll, die
Musik zu fesseln, zu bändigen, zu naturalisieren. Auf die Musik des
Untergangs folgt im »Klingsor« das Selbstporträt. In diesem
Selbstporträt ist die untergehende Musik aufgefangen. Das bedeutet
aber, daß die Leidenschaften sichtbar und überwindungsfähig
geworden sind. So schrieb van Gogh: »Und im Gemälde möchte ich
eine Sache sagen tröstlich wie Musik.«
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An van Gogh muß man bei der Lektüre dieses »Klingsor« heftig
denken. Zweimal wird er im Buche zwar nicht genannt, aber doch
gestreift. Arles ist genannt, und auch Gauguin ist genannt. Van Gogh
aber steht dem Dichter besonders nahe: der artistischen Entwicklung
nach, die von den reinen, subtilen Farbtönen des Impressionismus
aus gewaltsam ins eigene Innere vordringt, und auch der Herkunft
nach: indem beide (Hesse von der Dubois-Seite, der Mutter her)
Calvinistenblut in den Adern haben. Wie ein Alb lastet auch auf van
Gogh die Tradition des Genfer Reformators, der nur eine schrecklich
erhabene Gottheit mit einer absoluten, in ein drohendes Dunkel
gehüllten Vorherbestimmung des einzelnen kennt. Das Empfinden
van Goghs, als er zum erstenmal nach Arles kommt, gleicht
demjenigen Hesses in der ersten Zeit seines Tessiner Aufenthaltes
auf ein Haar.
Noch einen dritten könnte man hier nennen: den Dichter Hölderlin
zur Zeit seines Aufenthaltes in Südfrankreich. Diese Künstler aus
Pietisten- und Calvinistenblut droht dann ihre lang verdrängte
Phantastik ausbrechend zu zerreißen. Sie geraten in eine Arbeitswut,
um die andrängende Fülle zu entgiften. Sie balancieren unvermutet
auf jener schmalen Grenze zwischen Wahn und Form, von der ein
Dante geschrieben hat, daß er den Fuß an jene Stelle des Lebens
gesetzt habe, über welche keiner hinausgehen kann, der die Absicht
hat,
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