Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
wiederzukehren.
Außer van Goghs und Hölderlins Zügen sind aber noch andere,
ebenso unheimliche in Hesses »Klingsor-Gesicht«. Ich finde in
meinen Papieren, leider ohne Datum, eine Besprechung, die in diese
Zeit gehört und die das Buch »Barbaren und Klassiker« von
Hausenstein betrifft. Es ist darin die Rede von jenem »siegreichen,
übrigens prachtvollen, von mir mit Innigkeit begrüßten Hereinbruch
der bemalten Schädel, der behaarten Tanzmasken, der furchtbaren
Chimären primitiver Völker und Zeiten in den stillen, sanften, etwas
langweiligen Tempel der europäischen Kunstgegenstände und
Kunstanschauungen«. Und es ist die Rede von »jenem natürlichen,
richtigen, gesunden Untergang, der nichts anderes ist als ein
Ermüden überzüchteter Funktionen in der Seele des einzelnen wie
der Völker«. Es gehen dabei unter Umständen Moralen und
Ordnungen unter, »der Vorgang selbst aber ist das denkbar
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Lebendigste, was sich vorstellen läßt... Der Weg ist längst
beschritten... Der Weg Faustens zu den Müttern«.
Hesse sucht diesen Weg des Aufkommens und Hereinbrechens
»seltsam neuer Götter, die mehr wie Teufel aussehen«, er sucht die
Exotik primitiver Tanzmasken und Götzen in sein Klingsorbild, in das
Bild der Spätromantik genau einzutragen. Das gibt der Klingsor-
Erzählung jene seltsame Szenerie und Phantastik, die aus dem
Tessin eine Art Neuguinea und Honolulu machen. Das gibt ihr jenen
Prunk und jene Urwaldgötzen-Stimmung, die das spezifische Milieu
des Tessins verwandeln und die den Maestro mitunter sich etwas
barock, mitunter sogar ein wenig professionell vom Hintergrund
abheben läßt.
Daß übrigens die Einsamkeit in der neuen Tessiner Umgebung nicht
völlig geschwunden ist, verrät der Gedichtaustausch des Nachtkönigs
mit dem fingierten Dichter Thu Fu, der kein anderer als Hesse selbst
ist. Von den andern greifbaren Figuren der Erzählung ist die »Königin
der Gebirge« und ihr Papageienhaus in Careno auch in Wirklichkeit
vorhanden; ich habe mich öfters davon überzeugt. Dort in der Nähe
liegt auch die Wallfahrtskirche Madonna d'Ongero, über die man im
»Bilderbuch« nachlesen kann. Auch Louis der Grausame ist ein
Mensch von Fleisch und Blut; es ist der sehr auf Abwesenheit
bedachte Westschweizer Maler Louis Moilliet. Er ist allem
Kunsthandel und modernen Trara so abgeneigt, daß seine auf die
Leinwand gebannten Sonnenpalimpseste aus Algier und Tunis kaum
irgendwo auf dem Markt, wohl aber ziemlich vollzählig auf einem
Landsitz in der Nähe von Bern zu finden sind. Der seltsame Magier
aus der »Musik des Untergangs« ist im Tessin nicht mehr
nachzuweisen. Er hat sich inzwischen nach Bengalen und Kaschmir
begeben und kommt nach Europa nur noch herüber, um hie und da
einmal wieder die »Zauberflöte« zu hören. Er hat dann die
Hosentaschen voll Edelsteine und überbringt Grüße von Gandhi.
Damit sind die Schlüssel zum Klingsor alle ausprobiert. Aber ich
fürchte, einen habe ich vergessen: das ist Hesses 1899 bei
Diederichs erschienenes
Skizzenbuch »Eine
Stunde hinter
Mitternacht«. Darin stehen auch solche von innen beleuchteten
Klingsorschlösser, und darin gibt es auch solche Könige der Nacht,
»hohe Krone im Haar, rückgelehnt auf steinernem Sitz«, die den
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Tanz der Welt dirigieren. Denn schon im »Ofterdingen« des Novalis
gibt es diese Nachtkönige, und der junge Hesse kennt seinen Novalis
gut. Das Motto seiner in Tübingen entstandenen ersten Publikation,
der »Romantischen Lieder«, lautete:
»Seht, der Fremdling ist hier, der aus demselben Land
Sich verbannt fühlt wie ihr, traurige Stunden sind
Ihm geworden; es neigte
Früh der fröhliche Tag sich ihm.«
Dieser Klingsor, König der Nacht, bei Shakespeare tritt er zum ersten
Male mit großem Hofstaat auf, um dann die Dramen und Romane
nicht mehr zu verlassen. Er ist dem Liebhaber der Romantik wohl
bekannt; er ist der Zauberkönig, er ist vielleicht die Romantik selbst.
»Und dieser Klingsor also«, sagt Hesse, »liegt im Sterben oder ist
bereits gestorben. Daher die Trauer, daher die Schwermut. Und
daher kommt es, daß die großen romantischen Dichter, die unsere
Zeit noch erlebte, ein Nietzsche, ein Strindberg, ein Georg Heym,
ihre Lauten und Harfen zerschlagen und in der Mutter, im Wahn und
im Wasser versinken.«
Eine letzte Beziehung des Klingsorbuches bleibt zu erwähnen: die zu
den alten Chinesen. Schon im Romanfragment »Das Haus
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