Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
Propagandaministerium, das an dem Erfolg gern teilgehabt hätte. Die jüdischen Gebrüder Pilzer wussten um diese Bedrohung und ahnten auch, dass ihre Religionszugehörigkeit eines Tages gegen sie verwendet werden könnte. Dieses Bewusstsein dürfte bei ihrer Entscheidung, Albert, dem Bruder des Reichsmarschalls und NS-Gegner, eine Stelle anzubieten, eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Schon ein Jahr nach Gründung der neuen AG hatte das Propagandaministerium tatsächlich versucht, Tobis-Sascha zu übernehmen, was die Gebrüder Pilzer jedoch zunächst abwehren konnten. Goebbels gab sich nicht geschlagen und erwirkte ein Importverbot für Filme nicht-arischer Firmen, mit dem er dem Unternehmen seinen größten Absatzmarkt versperrte. Bald darauf konnte er der ins Trudeln geratenen Gesellschaft den K.-o.-Schlag versetzen. Er ließ ein Konto einfrieren, das Tobis-Sascha bei der parteitreuen Creditanstalt unterhielt und auf dem über eine Million Reichsmark lagen. Am 27. Januar 1937 sahen sich die Pilzers gezwungen, ihr Unternehmen an eben die Bank zu veräußern, die sie in die schwierige Lage gebracht hatte: die Creditanstalt. Obwohl es einen Nennwert von über 33 Millionen Schilling hatte, wurden sie gezwungen, ein Angebot über gerade mal eintausend Schilling anzunehmen. Selbst dieser symbolische Betrag wurde ihnen nie ausbezahlt. 50
Albert war nicht der Einzige, der Beziehungen zur Filmbranche unterhielt. Vier Jahre nachdem seine ergebene Ehefrau und enge Vertraute Carin
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an Tuberkulose gestorben war, hatte Hermann Göring seine neue Liebe in Emmy Sonnenberg gefunden, einer Schauspielerin des renommierten Berliner Staatstheaters. Emmy hatte zahlreiche jüdische Freunde und Kollegen, die seit dem Inkrafttreten der Nürnberger Rassegesetze auf ihre Hilfe und ihren politischenEinfluss hoffen mussten. Eine dieser Kolleginnen war Henny Porten, einer von Deutschlands ersten großen Filmstars. Hennys Ehemann, Dr. Wilhelm von Kaufmann, war jüdischer Abstammung, was sie nach den Rassegesetzen ebenso zum »Untermenschen« machte wie ihn. Henny, einst der gefeierte Liebling des deutschen Kinos, bekam plötzlich keine Rollen mehr.
Doch nach einer zufälligen Begegnung mit Emmy Göring in einem Hamburger Hotel wendete sich das Blatt. Emmy war entsetzt, als sie von den Nöten des Ehepaars hörte, und beschwerte sich bei Hermann. Der half, indem er seinen jüngeren Bruder in Wien kontaktierte. »Albert, du hast doch was zu sagen beim Film? Kannst du nicht für die Porten etwas tun? … Emmy meint, man müsse ihr helfen.« Für Hermann war es ungewohnt, seinen kleinen Bruder Albert um Hilfe zu bitten. 51 Der jedoch tat ihm den Gefallen gern und sorgte dafür, dass Henny von seiner Produktionsgesellschaft einen Vertrag bekam. Sie konnte zwar an keiner Produktion mitwirken, doch waren sie und ihr Mann vorerst finanziell abgesichert. 52 Der Name Porten steht auf der Liste der Geretteten an sechsundzwanzigster Stelle.
Als Henny Porten und ihr Mann im Januar 1945 aus ihrer Unterkunft in Neuruppin nordwestlich Berlins vertrieben worden waren, besorgten ihnen Emmy und Hermann Göring eine Wohnung im nahen, aber von der SS relativ unbehelligten Joachimsthal am Werbellinsee. 53
Die Nachfahren der Familie Göring arbeiten hart daran, Hermann von dem Antisemitismus der Nationalsozialisten zu distanzieren. Sie berufen sich darauf, dass Albert bei seinem Eingreifen zugunsten der Verfolgten oft auf Hermanns Hilfe angewiesen war. Hermann Görings Tochter Edda erklärt: »Es war so, dass er [Albert] Leuten, die in Not waren, durchaus selbst helfen konnte – finanziell oder durch seinen Einfluss. Aber sobald dazu größere amtliche Autorität nötig war, brauchte er die Unterstützung meinesVaters, die er auch bekam.« 54 Ohne den Schutz und das gelegentliche Eingreifen seines Bruders Hermann hätte Albert sich weder der Gestapo entziehen noch so viele Menschenleben retten können, besonders nicht in den prominenteren Fällen. Sein Handeln und sogar sein bloßes Überleben während der Kriegsjahre zeugen von dem Status, den der Name Göring ihm verlieh.
Doch Hermanns Bereitschaft, gelegentlich den Launen seiner Familienmitglieder nachzugeben und ihnen zu helfen, bedeutet nicht, dass ihn das Schicksal der Juden ernsthaft interessierte. Sie hatte vielmehr damit zu tun, dass er den Familienzusammenhalt über die Interessen der Partei stellte und es genoss, seine Macht zu beweisen. Zwar half er gelegentlich einem Verfolgten, um sein
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