Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
Benbassat – Jacques’ zukünftiger Stiefvater, ein aufstrebender Wiener Geschäftsmann – engagierte Albert Göring – den jungen Ingenieur und Verkaufsrepräsentanten der Junkers-Werke, der nachts die Bars unsicher machte –, um einen seiner Kräne zu warten. Doch dieser Kran war nur der Anfang, denn bald stellte sich heraus, dass die beiden vieles gemeinsam hatten. Ihre Liebe zu gutem Wein, starkem Kaffee und kurvenreichen Frauen nährte eine Freundschaft, die zwei totalitäre Regime und einen Weltkrieg überdauerte und die beiden Männer bis zu Albert Görings Tod miteinander verband. Beide verkehrtenin der High Society von Wien, Prag und Budapest, neben Paris und Berlin die kulturellen Zentren Europas. »Der Mann hatte Charme! Und zu seinem Glück brauchte er nie mehr als eine Tasse Kaffee oder ein Gläschen Wein«, sagt Jacques. »Bei den Frauen kam er auch immer gut an … Er liebte es exotisch. Nur dünne Mädchen gefielen ihm nicht … Manchmal sah er einer hinterher und sagte zu mir: ›Viel zu dürr, ich hab sie lieber fett!‹«
Jacques spricht fast unhörbar leise. Die Therapiemaßnahmen gegen den Krebs haben ihm seine Stimme genommen, und manchmal schüttelt ihn ein Schluckauf, als würde ihn selbst das Atmen Überwindung kosten. Doch wenn er von aufregenden Erlebnissen berichtet, legen sich die Symptome; seine Stimme wird kräftiger und sein Gesicht hellwach. Es ist, als wäre es heilsam für ihn, sich in die Vergangenheit zurückzuversetzen.
Bis zum »Anschluss« Österreichs an Hitler-Deutschland war Albert regelmäßig bei der Familie Benbassat zu Gast und gab immer eine Geschichte oder ein Lied zum Besten. »Ich weiß noch, dass er sehr oft bei uns war. Mein Vater freute sich immer über seinen Besuch … Er liebte das schöne Leben. Die Musik. Mal spielte er Gitarre, mal Klavier, immer irgendwie improvisiert, aber trotzdem souverän«, erinnert sich Jacques.
Jacques war damals noch zu jung, um es mitzubekommen, doch ungefähr um dieselbe Zeit begann Albert Görings Einsatz für die Opfer der NS-Diktatur. Doch zunächst tat nicht Hermann Albert einen Gefallen, wie es in den Jahren darauf immer wieder geschah, sondern Albert half Hermann. »Ich glaube, der erste Gefallen war, dass Hermann Göring Albert Göring bat, einer Freundin seiner Frau einen Job zu verschaffen«, erzählt Jacques.
Als Repräsentant der Junkers-Werke in Österreich, Ungarn und der südlichen Tschechoslowakei hatte Albertregelmäßig mit dem österreichischen Firmenzusammenschluss Tobis-Sascha Filmindustrie AG zu tun. Er versorgte das Unternehmen mit Chemikalien zur Konservierung des Filmmaterials. Doch bei seinen Besuchen drehte sich das Gespräch nicht nur um Chemikalien. Einmal, 1934, kam die Idee auf, Albert bei Tobis als technischen Direktor einzustellen. Albert sagte begeistert zu, allerdings nicht ohne sich zuerst des Einverständnisses seines alten Arbeitgebers zu versichern.
Albert lebte zu der Zeit in Österreich im freiwilligen Exil und hatte sich gerade einbürgern lassen. Dieser Schritt war eine direkte Reaktion darauf, dass die Nationalsozialisten 1933 in dem Land seiner Geburt die Macht an sich gerissen hatten. Obwohl er leicht die Privilegien der neuen Elite für sich hätte beanspruchen können, mied er alles, was mit der Partei zu tun hatte. Er war nicht nur theoretisch oppositionell eingestellt, sondern erkannte als einer der Ersten, welche Bedrohung die Nationalsozialisten darstellten, und handelte auch danach. Das war alles andere als üblich. Die Aussicht auf eine feste Stelle, Wohlstand und die Wiederherstellung der »Ehre der Nation« nach dem 1918 verlorenen Krieg verführte viele dazu, zu bleiben. Sie übersahen geflissentlich die Brutalität der Gleichschaltung und die Vorzeichen jener Gräuel, die noch kommen sollten. Selbst von den deutschen Juden beschlossen viele zu bleiben. Zwar wanderten direkt nach der Machtergreifung auffallend viele Juden aus Deutschland aus, doch in den Jahren darauf war der Trend zunächst rückläufig: 1933 waren es 37 000, 1934 23 000 und 1938 nur 20 000 jüdische Emigranten. 49
Angeworben wurde Albert Göring vom Studioinhaber Oskar Pilzer. Zusammen mit seinen Brüdern Kurt, Severin und Viktor hatte Oskar die Sascha Filmindustrie AG und die Tobis-Tonbild-Syndikat AG aufgekauft und fusioniert. Seither war Tobis-Sascha Österreichs größte Filmproduktionsgesellschaft. Diese Position zog Neid und Begehrlichkeitenauf sich, besonders von Goebbels’
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