Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
Ansehen innerhalb der Familie zu verbessern, doch sehr viel öfter trieb er die Verfolgung selbst voran, um seine Machtposition in der Partei zu festigen. Wenn es seiner Karriere nützte, antisemitische Propaganda zu verbreiten, tat er es auch.
Der Ausdruck »Anschluss« klingt, als sei Österreich freiwillig, als gleichberechtigter Bündnispartner in das Deutsche Reich eingetreten. Doch von Gleichberechtigung konnte keine Rede sein, und die Eingliederung geschah nicht ohne Zwang. Eher könnte man die Ereignisse des 12. März 1938 als militärische Annexion beschreiben, als einen von vielen Überfällen der deutschen Kriegsmaschinerie in ganz Europa.
Unter dem steigenden Druck von Hitlers Ultimaten hatte Österreichs Bundeskanzler Dr. Kurt von Schuschnigg noch kurz zuvor einen letzten Versuch unternommen, Österreichs Unabhängigkeit zu bewahren. Er kündigte am 9. März eine Volksabstimmung für den 13. März an. Damit wollte er das Schicksal des Landes in die Hände seiner Bewohner legen, die selbst für oder gegen den »Anschluss« stimmen sollten. Hitler versuchte sich diese Institution sofort selbst zunutze zu machen. Er erklärte die Abstimmungfür unrechtmäßig und unterstellte Betrugsabsichten. Schließlich setzte er am Morgen des 11. März Schuschnigg noch einmal ein Ultimatum und forderte ihn auf, die Macht an die österreichische nationalsozialistische Partei zu übergeben. Doch das war nur ein Täuschungsmanöver. Längst hatte er die Order erteilt, eine Stunde vor Ablauf des Ultimatums deutsche Truppen an der Grenze aufmarschieren zu lassen. Dann unternahmen die österreichischen Nationalsozialisten mit Hilfe deutscher Truppen einen Staatsstreich und setzten Schuschniggs Regierung ab. Am 13. März 1938 wurde ohne Beteiligung des Parlaments das »Gesetz zur Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich« erlassen. In dem Versuch, die Machtergreifung der Nazis und den »Anschluss« nachträglich zu legitimieren, holte Arthur Seyß-Inquart, der nicht gewählte neue Bundeskanzler, den von Schuschnigg geplanten Volksentscheid nach. Eine Sternstunde der Demokratie sollte die Abstimmung allerdings nicht werden.
Am Tag des Referendums versuchte Albert, sich der Wahlmanipulation entgegenzustellen. »In allen Wahllokalen waren SS- und SA-Leute«, erinnert sich Jacques Benbassat. »Es gab Kabinen, in denen man geheim abstimmen konnte, aber vorn in der Schlange standen meistens Nazis. Sie traten vor. Sie erklärten stolz: ›Ich brauche keine Kabine.‹ Und stimmten mit Ja. Die Leute hinter ihnen trauten sich dann nicht, in Gegenwart all der Militärs die Kabine zu benutzen. Als [Albert] Göring kam und sich auswies wie alle anderen auch, sagten sie zu ihm: ›Sie brauchen wohl kaum die Kabine.‹ Er sagte: ›Aber im Gegenteil, ich brauche sie‹, ging in die Kabine und wählte Nein. Dadurch konnten die Leute hinter ihm ohne Angst auch in die Kabine gehen und frei nach ihrem Gewissen wählen.« 55 Doch Alberts Mühe war umsonst. Das Ergebnis des Volksentscheids war ein nachdrückliches »Ja« zum »Anschluss« mit überwältigenden 99,73 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Sobald Seyss-Inquart die Zügel fest in der Hand hielt und die Braunhemden und SS-Leute die Straßen bevölkerten, kamen auch die NS-Sympathisanten aus der Deckung. Schon im alten Habsburgerreich hatte es soziale Spannungen und Vorurteile gegen ethnische Minderheiten wie Polen, Tschechen, Ungarn, Ukrainer und auch Juden gegeben. Jetzt brachen die Konflikte offen auf, und die selbsternannten »wahren« Österreicher wollten sich die arische Vorherrschaft sichern.
Als Drittklässler an der Grundschule erlebte Jacques diese stürmischen Zeiten hautnah. »Jeden Morgen mussten wir das Vaterunser sprechen, und dann wurde aus
Mein Kampf
vorgelesen«, erinnert er sich. »Und furchtbare Schauergeschichten, in denen die Juden immer eine üble Rolle spielten. Und es gab einen Jungen in meiner Klasse, der nicht jüdisch, aber [als Jude] getauft war. Zu seinem Unglück war er auch noch der Klassenstreber. Er war der Einzige, der lange Socken tragen musste, und hatte eine viel zu große Brille.«
Als Jacques gerade zu der Pointe seiner Geschichte ansetzt, kommt Doris herein. In ihrer Ausstrahlung erinnert sie mich entfernt an George Costanzas Mutter aus
Seinfeld,
und die Alzheimer-Erkrankung verleiht ihrem resoluten Auftreten einen gewissen morbiden Charme.
»Warum flüsterst du? Darf ich nicht mithören?« Doris macht Jacques’ leise Stimme
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