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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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konnte.
    Der Hubschrauber senkte sich herab, schaukelte, dass Charlotte doch noch übel wurde. Endlich setzte er auf, genau in der Mitte des großen H. Das markerschütternde Dröhnen der Turbine wich einem ersterbenden Winseln. Sie schnallte sich ab und verstand auf einmal, wieso manche Leute den Boden von Flughäfen küssten.
    Der Pilot, der sie festgeschnallt hatte, öffnete ihr den Ausstieg, aber da war Hiroshi schon heran und half ihr heraus. »Endlich!«, rief er ihr zu.
    »Es kann nicht jeder von heute auf morgen um die Welt jetten!«, erwiderte sie und duckte sich unwillkürlich. Der Rotor drehte immer noch seine Runden, fuhr über sie hinweg wie ein Schwert auf der Suche nach einem Kopf, den es abhacken konnte. »Ich musste erst mit Gary reden.«
    Hiroshi stutzte, dann lachte er. »Ach so! Nein, das meinte ich gar nicht. Ich musste nur vorhin daran denken, wie ich dir zum ersten Mal von meiner Idee erzählt habe. Das war bei euch im Garten –«
    Charlotte nickte. »Wir haben geschaukelt. Das heißt, ich habe geschaukelt. Du hast nur auf deiner Schaukel gesessen und komisches Zeug geredet.« Sie sah sich um, fragte sich, was mit ihrem Gepäck passierte. Ach da – einer der Piloten lud es auf einen Handwagen, zusammen mit allerhand Kartons mitchinesischen Aufschriften. »Und als ich gesagt habe, ich glaube dir kein Wort, hast du gesagt, ich würde schon sehen.«
    »Wie lange ist das her? Fast zwanzig Jahre.« Hiroshis Augen strahlten. »Und jetzt endlich bin ich so weit! Das habe ich vorhin gemeint, als ich ›endlich‹ gesagt habe. Auf ein paar Tage mehr oder weniger kommt es wirklich nicht mehr an.«
    Sie verließen den Landeplatz und damit die ölige Abgaswolke, die der Hubschrauber um sich verbreitete. Ein von niedrig hängenden elektrischen Laternen ausgeleuchteter Trampelpfad führte zu dem Zeltdorf, das sie aus der Luft gesehen hatte. Jenseits davon erahnte man die dunklen Umrisse von Bäumen, Gebüsch und Felsen. Je weiter sie sich von dem Hubschrauber entfernten, desto deutlicher hörte Charlotte den Pazifik, von links und rechts, ein verhaltenes, mächtiges Gurgeln, mit dem seine Wellen gegen die Küstenlinie rauschten. Ein leiser Nachtwind wehte. Die Luft roch nach Salz, nach fremdartigen Blüten, nach tropischer Insel – und ab und zu, wie ein Stich in die Nase, nach etwas modrig Faulem, Verrottendem. Es war ein unangenehmer Geruch, der Charlotte seltsamerweise bekannt vorkam.
    »Hier also warst du die ganze Zeit«, sagte sie. »Auf einer abgelegenen Südseeinsel. Nicht schlecht.«
    »Hier sind wir, genau genommen, erst seit etwa sechs Wochen«, korrigierte Hiroshi sie. »Die Jahre davor habe ich zwar auch auf diversen Inseln verbracht, aber die waren eher abgeschirmt als abgelegen.«
    Sie musterte ihn, zutiefst verblüfft darüber, dass sie miteinander redeten, als sei überhaupt keine Zeit vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Dabei waren es fünf Jahre! Noch mehr, fast fünfeinhalb. Es fühlte sich nicht im Mindesten so an. Einen irrwitzigen Augenblick lang befielen Charlotte Zweifel an ihren eigenen Erinnerungen.
    Aber doch, Hiroshi war älter geworden, man sah es. Er wirkte ernster – noch ernster! – und war braun gebrannt, was feine Fältchen um seine Augen sichtbar werden ließ. Er trug eine schlichte kurze Hose, Sandalen und ein grau meliertes T-Shirtohne jeglichen Aufdruck, was für einen MIT-Absolventen ein geradezu atypisches Verhalten war.
    Wobei – er hatte das MIT ja gar nicht absolviert. Er war einfach spurlos verschwunden, wenige Tage, nachdem sie …
    Es war alles wieder da. Die Erinnerung, die gegenseitige Anziehung. Sie wusste, dass sie nur die Hand auszustrecken brauchte. Und dass Hiroshi nur darauf wartete, dass sie es tat.
    Aber damit hätte sie Gary verraten, und deshalb würde sie es nicht tun. Was gewesen war, war vorbei, gehörte der Vergangenheit an. Hiroshi und sie waren nur noch alte Bekannte. Freunde aus Kindertagen.
    »Woher hattest du eigentlich meine Telefonnummer?«, fiel ihr ein. Das war nur eine der Fragen, die ihr unterwegs eingefallen waren.
    »Von deiner Mutter«, erwiderte Hiroshi, als sei das die größte Selbstverständlichkeit der Welt.
    »Von meiner – was?« Sie blieb stehen, brauchte einen Moment, bis der Groschen fiel. Klar – das war ja kein Problem. So viele französische Botschafter gab es nun auch wieder nicht.
    Gerade als sie versuchte, sich auszumalen, wie dieses Gespräch zwischen Hiroshi und ihrer des Englischen noch

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