Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
benötigte seltene Bauteile oder dergleichen zu beschaffen.
»Wir dürfen das Konto nicht auf null gehen lassen«, beschwor er Charlotte an dem Abend, als ihnen das Unheil klar wurde. »Ich brauche immer Geld in Reserve, um Instrumente ankaufen zu können. Sonst kann ich meine Werkstatt zumachen.«
Charlotte starrte auf die Kontoauszüge und den Notizblock mit den Berechnungen wie auf böse Omen. »Und wenn du dich mehr um Restaurationsaufträge bemühst?«
»Hab ich alles schon durchprobiert. Das bringt wenig Geld, meistens musst du noch Provision an den Händler abgeben, der dich vermittelt hat – und so viele Kunden gibt’s hier nicht. Dazu müsste man in einem Ballungsraum leben. Dort wiederum wäre die Miete für eine anständige Werkstatt unerschwinglich.«
Die Lösung lag auf der Hand: Sie durften nicht länger gemeinsamreisen. Wenn sie zu zweit reisten, war alles doppelt so teuer, ohne deswegen zwangsläufig mehr einzubringen – und damit rechnete sich die Sache nicht. Schweren Herzens beschlossen sie, dass Gary wieder allein fahren und Charlotte nur nachkommen würde, falls er bei einem besonderen Instrument auf Nummer sicher gehen musste, was die Herkunft anbelangte.
Alleine langweilte sie sich. Sie kannte ja niemanden hier, und mit den Schotten der Lowlands in Kontakt zu kommen war nicht gerade einfach. Überhaupt – waren die Dinge zwischen ihnen beiden eigentlich gerecht verteilt? Sie waren zwar zusammen, aber Gary tat wie gehabt den lieben langen Tag das, was er am liebsten machte, nämlich alte Musikinstrumente zu reparieren. Für ihn war der einzige Unterschied, dass er zusätzlich eine Frau hatte, die ihm den Haushalt in Ordnung hielt und das Bett wärmte. Charlotte dagegen, was hatte sie von ihrer Beziehung? Arbeit, weiter nichts.
Während Gary in Istanbul unterwegs war, auf den Spuren eines Spinetts aus dem 16. Jahrhundert, fuhr Charlotte nach Aberdeen und kaufte Zeug, das sie nicht brauchte, nur aus Frust. Und sie führte lange, teure Telefonate mit Brenda, in denen sie herauszufinden versuchte, was sie falsch machte.
Dann rief er an, sie solle nach Istanbul kommen, mit einem möglichst billigen Flug. Das Spinett stammte tatsächlich aus dem Jahr 1578. Als die Spedition kam, um es abzutransportieren, hatte Gary schon den voraussichtlichen Gewinn durchkalkuliert. Kein Problem, noch einen Tag in Istanbul dranzuhängen, meinte er. Sie besichtigten die Hagia Sophia und den Topkapi Palast, genossen den Sonnenuntergang in einem Restaurant unter der Galatabrücke. Charlotte schloss die Augen, lauschte dem Konzert der fremden Zungen um sie herum, begann, erste Strukturen der türkischen Sprache herauszuhören, und alle Einsamkeit war vergessen. Das Leben war wieder wunderbar.
Ihren bis dahin heftigsten Streit hatten sie unmittelbar nach ihrer Rückkehr, als Gary entdeckte, dass sich Charlotte Geld von ihren Eltern hatte geben lassen. Das verletzte ihn so sehr in seinerMannesehre, dass er sich gar nicht beruhigen wollte, obwohl sie ihm, ganz erschrocken, schwor, es nie wieder zu tun. »Damit bist du mir in den Rücken gefallen!«, schrie er sie an. »Wenn wir zusammen sein wollen, dann müssen wir auch dasselbe Schicksal teilen. Aber das tun wir nicht, wenn du den Geldbeutel deiner Eltern in der Hinterhand behältst. Auf die Weise sagst du mir, dass es dir egal ist, ob unser Leben funktioniert, weil du ja jederzeit in dein Rettungsboot steigen kannst und ich nicht.«
Sie verstand nicht ganz, was er meinte, war nur entsetzt, ihn so außer sich zu erleben. Zu allem Überfluss war, während sie sich in Istanbul aufgehalten hatten, ein heißer Tipp eines spanischen Informanten in der Mailbox gelandet: In Barcelona werde ein Cembalo von 1770 angeboten, das dem großen Antonio Soler gehört hätte. Gary musste sofort wieder aufbrechen.
Charlotte blieb unglücklich zurück, putzte die Wohnung von oben bis unten und bis in die letzten Winkel, um sich zu beruhigen, und wartete auf Garys Anruf. Doch der kam nicht. Stattdessen kam Gary am übernächsten Tag wieder und erklärte, er habe das Instrument aufgrund der Dokumente gekauft, die ihm der Händler vorgelegt hatte. »Einwandfreie Expertisen von anerkannten Fachleuten«, bekräftigte er. »Es wäre rausgeschmissenes Geld gewesen, wenn du auch noch nach Barcelona gekommen wärst.«
Doch wie sich herausstellte, war vielmehr das Geld für das Instrument rausgeschmissen.
»Das ist nicht von 1770«, sagte Charlotte sofort, als Gary das Cembalo aus der
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