Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
überhaupt.«
»Es sind Themen, die bald veraltet sein werden«, erwiderte Hiroshi mit stählerner Überzeugung in der Stimme. So hatte Charlotte ihn noch nie erlebt; das war auch mal interessant.
Dem rothaarigen Mann kippte die Kinnlade herab. Mit einer solchen Antwort hatte er offenbar nicht gerechnet.
Hiroshi richtete sich auf. »Besitz ist lediglich ein Konzept, das eine Problemlösung für die Situation des Mangels darstellt. Nicht die beste möglicherweise, aber jedenfalls eine, die einigermaßen erprobt ist. Wenn an etwas Mangel herrscht – oder herrschen könnte; auch das reicht schon als Begründung –, dann sichert man sich Besitz daran, um nicht selber von dem Mangel betroffen zu sein. Doch wenn an etwas kein Mangel herrscht und es auch nicht vorstellbar ist, dass jemals Mangel daran herrschenwird, dann wird es sinnlos, es besitzen zu wollen. Wozu? Nehmen Sie zum Beispiel Wasser. Wie viel Wasser besitzen Sie, meine Herren?« Er sah in die Runde.
»Ein Schwimmbad voll«, sagte einer.
»Das ist Wasser, das Sie nicht trinken können«, erwiderte Hiroshi. »Und Sie zögern nicht, es durch neues Wasser zu ersetzen, wenn es schmutzig sein sollte. Warum? Weil zumindest in den Industrienationen Wasser jederzeit verfügbar ist. Es herrscht kein Mangel daran. Es ist nicht einmal kostenlos, das ist gar nicht nötig. Es reicht schon, dass kein Mangel daran herrscht und normalerweise auch kein Mangel erwartet wird. Deswegen besitzen die meisten Menschen keinen Wasservorrat, abgesehen von ein paar Flaschen Mineralwasser vielleicht.« Er legte die Hände auf seinen Rechner. »Ich entwickle eine Maschine, die diesen Zustand für alle Güter herstellen soll, weltweit und für alle Menschen. Alles, was jemand braucht, soll jederzeit in jeder benötigten Menge zur Verfügung stehen. Was für einen Sinn wird es dann noch haben, Dinge besitzen zu wollen? Keinen. Die übernächste Generation wird überhaupt nicht mehr verstehen, was damit einmal gemeint war.«
Der Amerikaner schnappte nach Luft, wand sich in seinem Sessel, stieß keuchende Laute aus. »Das ist … das ist tollkühn. Also, das ist verdammt noch mal das Hirnverbrannteste, was ich je in meinem Leben gehört habe. Besitz soll überflüssig werden? Sind Sie ein verdammter Hippie oder was? Besitz ist wichtig. Das ist in uns angelegt. Menschen definieren sich darüber!«
»Da irren Sie sich. Worüber sich Menschen definieren, ist nur kulturell bedingt und ständigem Wandel unterworfen. Ich frage Sie eins: Wenn Sie jederzeit, auf Fingerschnippen sozusagen, ein Auto zur Verfügung gestellt bekämen – egal wo Sie sind, egal wohin Sie müssen – und wenn Sie davon ausgehen könnten, dass dieser Service zeit Ihres Lebens funktionieren wird: Würden Sie dann noch eines besitzen wollen? Würden Sie dann noch all die Mühen auf sich nehmen wollen, die damit verbunden sind, all die Werkstatttermine, Wagenwäschen, Versicherungsfragenund so weiter? Also, ich nicht. Und ich wette, Sie auch nicht.«
»Es gibt Leute, deren ganzer Stolz es ist, ein Auto zu besitzen, das eben nicht jeder hat.«
Hiroshi hob die Schultern. »Wie gesagt, dieser Zustand soll künftig nicht mehr existieren. Es wird keine Güter mehr geben, die nicht jeder haben kann, wenn er will.«
Der rothaarige Mann lachte auf. »Ich glaub, ich spinne. Was soll das für ein Geschäftsmodell sein? Wie wollen Sie auf diese Weise Geld verdienen?«
»Überhaupt nicht«, entgegnete Hiroshi ungerührt. »Geld wird natürlich ebenfalls aufhören zu existieren. Wenn jeder alles haben kann, was er will: Was für einen Sinn hätte da noch Geld? «
Der Amerikaner starrte ihn fassungslos an. Sein Mund klappte ein paar Mal auf und zu wie bei einem Fisch, der auf dem Trockenen gelandet ist, doch es kam kein Laut heraus. Schließlich sackte der Mann in seinen Sessel zurück, ließ die flache Hand in einer hilflosen Geste auf den Tisch patschen und stieß hervor: »Ich geb’s auf. Der Typ ist komplett übergeschnappt.«
Nun beugte sich ein grauhaariger, ernst dreinblickender Asiat vor, faltete die Hände und erklärte: »Ich würde an dieser Stelle gerne einhaken, Kato -san . Verstehe ich Sie richtig, dass Sie eine Situation schaffen wollen, in der dank Ihrer sich selbst vervielfältigenden Maschinen eines Tages alle Dinge für alle Menschen im Überfluss zur Verfügung stehen werden?«
»Ganz genau«, sagte Hiroshi und nickte. »›Überfluss‹ ist genau das Wort, in dem sich mein Konzept zusammenfassen
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