Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
gesehen, und Sie haben ein Foto der Ruheposition dieses Komplexes gesehen, in der er aussieht wie ein kleiner Kühlschrank. Insbesondere dieses Bild sollte Sie nicht dazu verleiten, sich vorzustellen, dass der Endzustand so aussehen wird: dass jeder Haushalt eine Wundermaschine besitzt und alles andere bleibt, wie wir es kennen. Dieser Komplex ist nur ein Keim, ein Saatkorn, aus dem, wenn es aufgeht, eine völlig neue industrielle Struktur entstehen wird, eine Struktur, in der alles mit allem vernetzt sein wird und menschliche Arbeitskraft nur noch hier und da benötigt wird, um die Abläufe zu steuern. Selbst das wird mit zunehmender Komplexität und Entwicklung weniger werden, weil wir mit Konzepten der Informationsverarbeitung, die längst existieren – Stichworte hierzu: Schwarmverhalten, intelligente Agenten, neuronale Netze –, eine weitgehende Autonomie des entstehenden Versorgungssystems erreichen werden. In der neuen Welt steht also nicht einfach ein magisches Füllhorn in jeder Küche, sondern es existiert ein Komplex aus Komplexen, die wiederum aus Komplexen bestehen und so weiter, in beliebig tiefer Verschachtelung, und alle diese Einheiten werden untereinander in Verbindung stehen, werden Stoffe austauschen, Informationen – und eben auch Energie. Es wird Komplexe geben, die nichts anderes tun, als Energie zu gewinnen. Und das wird einfach sein, einfacher, als Sie sich das im Moment vorstellen können.«
»Da bin ich aber mal gespannt«, brummte der Amerikaner vernehmlich.
»Der momentane globale Energieverbrauch«, fuhr Hiroshi fort, »liegt plus minus im Bereich von fünfzehn Terawatt. Das sind fünfzehntausend Gigawatt oder fünfzehn Millionen Megawatt, und das umfasst alle Energie, die wir für die Heizung von Wohnungen aufbringen, für den Transport von Menschen oder Gütern, für industrielle Prozesse – für alles. Wir bringen diese Energie auf, indem wir Kohle verfeuern, Öl verbrennen, Uranatomespalten und mit noch ein paar weiteren Methoden.« Er schritt an der Fensterfront entlang, ein Schattenriss vor dem düsteren Bild der Stadt, das durch das verdunkelte Glas drang. »Aber nun vergleichen Sie diese Energiemenge, diese fünfzehn Terawatt, mit der Menge an Energie, die von der Sonne auf die Erde einströmt, Tag für Tag, seit Milliarden von Jahren: Es sind einhundertachtzigtausend Terawatt – das Zwölftausendfache dessen, was wir im Moment benötigen. Das heißt, es würde genügen, ein Zwölftausendstel der Erdoberfläche zu einem Solarkraftwerk umzubauen, um alle anderen Energiequellen überflüssig zu machen.«
»Das ist aber immer noch ein ziemlich großes Gebiet.«
Hiroshi blieb stehen. »Auf einem Globus wäre es ein Fleck, den Sie kaum wahrnehmen würden. Und noch einmal: Denken Sie daran, dass wir unbegrenzt viel Arbeitskraft zur Verfügung haben werden. Wir müssen dieses Solarkraftwerk nur programmieren; bauen werden es die Maschinen. Und instand halten auch.« Er nahm seine Wanderung um den Tisch wieder auf. »Nun könnten Sie einwenden, dass Landstriche, die sich dafür eignen – Wüsten zum Beispiel –, derzeit vorwiegend in politisch instabilen Ländern liegen und so weiter. Alles richtig. Aber auch hier gilt: Wir werden Überfluss schaffen. Politische Instabilität hat ihre wesentlichen Ursachen in Hunger, Krankheit, in Mangel auf allen möglichen Ebenen. Wenn wir den Menschen alles geben können, was sie brauchen, dann werden politisch instabile Verhältnisse einfach verschwinden.«
»Aber werden das Ihre Maschinen können? Den Hunger beseitigen?«, hakte der Schulrektor nach. »Dafür müssen sie Lebensmittel produzieren, und um das tun zu können, brauchen sie Land. Und Land – das ist nur begrenzt vorhanden!«
»Richtig«, sagte Hiroshi. »Aber wir haben unbegrenzt viel Arbeitskraft zur Verfügung. Wir können statt monotoner Felder intensiv bewirtschaftete Gärten schaffen. Wir können jeden Getreidehalm einzeln bewässern lassen, wenn es sein muss. Wir können Wüsten wieder urbar machen.«
»Und in Konflikt mit den Solarkraftwerken kommen.«
Hiroshi lachte auf. »Können Sie sich eine Welt vorstellen, in der die Wüsten, die wir heute für selbstverständlich halten, bis auf einen winzigen Fleck verschwunden sind? Das wird ein Konflikt sein, den wir leicht aushalten.«
Charlotte beobachtete ihn, wie er seine Runde um den riesigen Tisch vollendete, als müsse es so sein, als vollführe er damit ein magisches Ritual. Erinnerungen stiegen in ihr auf wie
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