Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
und vor allem wann. Okay?«
Sie passierten die obligatorischen Checks und Kontrollen in Rekordzeit. Man fuhr sie in einem kleinen, offenen Elektrowagen aufs Flugfeld hinaus. Es war windig, Charlotte musste ihre Haare festhalten. Der Jet stand bereit, doch es schwirrten noch mindestens zwanzig Techniker in grauen Overalls um ihn herum. Die Eile, mit der sie die Maschine flugbereit machten, ließ Charlotte mulmig zumute werden.
Hiroshi arbeitete den gesamten Flug über. Er saß am Tisch, seinen Rechner aufgeklappt vor sich, und hob irgendwann den Kopf nicht mehr vom Bildschirm, las und studierte und schrieb und grübelte, ohne sie wahrzunehmen. Charlotte ließ ihn. Sie sah, dass er verzweifelt war, es aber niemanden spüren lassen wollte. Sie spürte es trotzdem.
Sie war immer noch müde. Zugleich war sie nach den Ereignissen des Tages so durcheinander, dass sie keine Ruhe fand. Sie hätte sich einen Film anschauen können, wollte Hiroshi nicht stören. Also ging sie irgendwann einfach nach hinten und legte sich auf das Bett, obwohl sie sich sicher war, dass sie nicht würde schlafen können.
Aber irgendwann schlief sie doch ein und träumte von tiefen Stürzen, die niemals endeten.
Er stand vor den Trümmern seines Lebenswerks. In irgendeinem Buch hatte Hiroshi diesen Satz einmal gelesen, und jetzt fiel er ihm wieder ein: So fühlte sich das also an!
Miroslav hatte alles so gelassen, wie es am Ende zum Stillstand gekommen war. Er hatte die Videoanlage mitlaufen lassen, die Aufnahmen gesichert: Sie würden alles analysieren können.
Gemeinsam schritten sie den Bereich ab, in dem der Komplex aktiv gewesen war. Er sah aus wie ein Trümmerfeld. Überall staken gelbe Stangen im Boden, die Elemente markierten, die irgendwann den Kontakt zum Komplex verloren und nicht mehr wiedergefunden hatten. Dass sie zwischen Schrott und Dreck lagen, machte den Anblick nicht besser. Immerhin – die Sicherheitsschaltungen hatten funktioniert: Das Steuerprogramm hatte die Situation irgendwann korrekt als unrettbar eingestuft und sich ordnungsgemäß abgeschaltet. Auch diese Logdaten waren gesichert.
Genug Daten, um die nächsten Jahre mit deren Analyse zubringen zu können.
Ein paar Elemente waren bis ans Ufer gelangt und von Salzwasser überspült worden. Sie waren tatsächlich wie geplant an den Sollbruchstellen auseinandergefallen. »Mach davon Bilder«, sagte Hiroshi. »Das wird sie beruhigen. Das zeigt wenigstens, dass zu keinem Zeitpunkt irgendeine Gefahr bestanden hat.«
»Hab ich schon«, erwiderte Miroslav. »Ich hab überhaupt alles fotografiert. Das ist hier der meistfotografierte Müllhaufen aller Zeiten.«
Anschließend studierten sie gemeinsam die Videos. Die anderen hatten sie sich schon so oft angesehen, dass sie alle Ereignisse im Voraus kannten. »Da. An dieser Stelle verliert dieses Element zum ersten Mal den Kontakt«, sagte dann zum Beispiel jemand und saugte nervös an einer Zigarette oder einem Strohhalm. »Jetzt greift die Fallback-Routine. Die Hauptaktion wird unterbrochen, hier, und das Einfangen beginnt … ah! Da hat es noch geklappt.« Es war, als hofften sie, der Film habe sich verändert, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatten.
Die primäre Fehlerursache war nur zu offensichtlich.
Alle Originalelemente waren mit UV-Markierungen versehen. Man konnte sie auf den Videos ausmachen, wenn mandie entsprechende Ebene dazuschaltete. Auf diese Weise ließ sich genau nachvollziehen, was welches Element zu welchem Zeitpunkt gemacht hatte. Die Elemente, die der Komplex selber gebaut hatte, trugen solche Markierungen nicht, da war es ein wenig schwieriger. Aber man brauchte den Film nur von dem Moment an, in dem das endgültige Versagen anfing, rückwärtslaufen zu lassen, um zu erkennen, dass alles mit einem Element der dritten Generation begonnen hatte: einem Element also, das unter Mitwirkung eines Elements gebaut worden war, das seinerseits im Lauf des Experiments neu entstanden war.
»Die Elemente, die der Komplex baut, sind zu ungenau«, resümierte Hiroshi, die Hand auf der Stopptaste des Rekorders. »Darauf wird es hinauslaufen, da bin ich mir sicher. Die Fertigungsfehler akkumulieren sich mit jeder Replikation, und irgendwann kommt es zu Funktionsausfällen.«
Allgemeines Nicken. Sie waren alle schon zu demselben Schluss gekommen.
»Wie mit den Audiokassetten früher«, meinte Therese, die Älteste unter ihnen und die Einzige, die noch eine Kindheit ohne Digitaltechnik erlebt hatte. »Man hat
Weitere Kostenlose Bücher