Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
gekommen war, mit ihm zu schlafen, oder ob sie sich das gerade überlegte. »Doch. Ein Schlafzimmer hab ich. Willst du es sehen?«
»Der Vollständigkeit halber.«
Er führte sie hin. Er war immer noch sehr zufrieden damit, welches Zimmer er dafür ausgewählt hatte. Die Fensterfront ging hinaus auf ein dichtes, geradezu intim wirkendes Kiefernwäldchen direkt neben dem Haus, in dem eine natürliche Quelle sprudelte. Morgens, wenn er aufwachte, fing sich manchmal das Sonnenlicht darin und glitzerte, als bade dort ein Geist. Die schmalen Bäume, das Licht und die Schatten zwischen ihnen waren wie eine lebendige Tapete, die keinen Tag gleich aussah.
»Sogar ein Bett. Da bin ich ja beruhigt.« Charlotte war in der Tür stehen geblieben. Sie sah sich um, und obwohl sie nicht den Kopf schüttelte, wirkte sie, als täte sie es, innerlich sozusagen. »Du bist schon ein komischer Vogel, Hiroshi Kato.«
»Ich konzentriere mich nur auf das Wesentliche.«
»Und das ist die Arbeit. Ziemlich bizarr, weil doch ausgerechnet du die Arbeit abschaffen willst. Was wirst du denn dann mit deinem Leben anfangen?«
Das hatte sich Hiroshi in der Tat manchmal selber schon gefragt. Er lebte in dem Gefühl, seine Kräfte bis an die Grenze des Möglichen zu dehnen und anzuspannen, und er glaubte mittlerweile, dass er dafür eines Tages einen Preis würde bezahlenmüssen. Vielleicht würde es ihm ergehen wie diesem Moses, von dem es hieß, er habe sein Volk ins Gelobte Land geführt: Er selbst hatte dieses Land nur noch von ferne zu sehen bekommen, betreten hatte er es nicht mehr.
Müßige Gedanken. »Die Chancen stehen schlecht, dass ich mir darüber je werde Sorgen machen müssen«, erwiderte er. »Komm, ich zeig dir mein Arbeitszimmer. Das wird dir gefallen – es ist richtig vollgestopft. Und ich habe zwei Stühle darin.«
»Wow, zwei Stühle. Du Verschwender.«
»Fall nicht um, wenn wir zum Mittagessen ins Esszimmer kommen«, meinte Hiroshi und zog die Schlafzimmertür wieder zu. »Dort stehen sogar sechs Stühle um den Tisch herum.«
»Gut, dass du mich vorgewarnt hast.«
Wieso war sie eigentlich gekommen? Doch sicherlich nicht nur, um ihn zu verspotten, oder? Er fragte sie.
»Mir war danach, stell dir vor«, sagte sie. Aber das war nicht der wirkliche Grund, er spürte es. Und sie spürte auch, dass das als Antwort nicht genügte. »Ich hab zugesagt, an einer Expedition teilzunehmen, die drei Monate dauern wird und … Na ja. Ich hab mir gedacht, ich könnte dich vorher noch mal besuchen.« Sie schien nicht über diese Expedition sprechen zu wollen. Es klang nicht nach einer Reise zu einem weiteren Museum oder Forschungslabor, das frühmenschliche Fossilien verwahrte.
Hiroshi wusste nicht recht, was er darauf sagen sollte. Da sie gerade die Tür zum Arbeitszimmer erreicht hatten, öffnete er einfach die Türflügel und sagte: »So. Da wären wir jedenfalls.«
Sie blieb auf der Schwelle stehen, gab ein abgrundtiefes Seufzen von sich. »Ah ja. Das ist ja fast … kuschelig.« Sie musste lachen, fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, als wolle sie sich die Augen reiben. »Sieht ein bisschen aus wie ein Computerfachgeschäft für den gehobenen Bedarf, ehrlich gesagt.«
Hiroshi ging voran. »Das sind keine gewöhnlichen Computer, wie du sie in einem gewöhnlichen Laden kaufen kannst«, erklärte er. »Das sind hochleistungsfähige UNIX-Workstationsmit Parallelprozessoren, sogenannte Supercomputer. Wenn du mehr Rechenleistung willst, als ich hier in diesem Raum habe, dann musst du zur NASA gehen oder zu IBM oder in die Labors, wo sie Atombombenexplosionen simulieren.« Das war sogar nur ein bisschen übertrieben. Er war ziemlich stolz darauf, was er hier mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln realisiert hatte. Und in weitaus ästhetischerem Rahmen als diese langweiligen Rechnercluster in ihren trostlosen klimatisierten Hallen.
Charlotte folgte ihm; es sah aus, als müsse sie sich überwinden, die Schwelle zu überschreiten. Der Annäherungsschalter löste aus und ließ die Bildschirme angehen, einen nach dem anderen. Sie zeigten die gerade laufenden Simulationen.
Sie blieb zwischen den Monitoren stehen und verschränkte die Arme. Sie betrachtete die Darstellungen, als befände sie sich in einer Kunstgalerie.
»Was sind das für Bilder?«, fragte sie schließlich. »Das sieht aus wie Moleküle oder so etwas. Riesige Moleküle.«
»Ganz genau«, sagte Hiroshi.
Sie drehte sich herum, geradezu indigniert. »Ich dachte, dein
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