Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
wild wirbelte. »Wenn das Wetter wieder einigermaßen ist, meine ich.«
Morley hatte eine der Satellitenaufnahmen aus der Mappe gezogen, legte sie in ihre Mitte. »Wäre gar kein Problem.« Er deutete auf das Koordinatennetz, das über dem Bild lag. »Wir bräuchten nur den GPS-Daten zu folgen. Dann im Umkreis von zehn Metern bohren und – peng! «
»Glaubst du das?«, meinte Adrian. »Dass sich in einem halben Jahrhundert nicht mehr als eine fünf Meter dicke Eisdecke gebildet hat?« Mehr Bohrgestänge hatten sie nämlich nicht dabei.
Morley lächelte listig. »Kann schon sein, dass sich mehr als fünf Meter Eis gebildet haben. Aber in den letzten zehn Jahren ist auch wieder viel Eis verschwunden . Und zwar jede Menge Eis. Würde mich nicht im Geringsten wundern, wenn wir hinkommen und die Maschine ragt halb aus dem Boden.«
»Ich weiß nicht.« Adrian klang ausgesprochen lustlos. »Kommt mir wie Zeitverschwendung vor.«
»Sieh es mal so«, schaltete sich Leon ein. »Ich würde das ja alles dokumentieren. Expedition von Klimaforschern findet verschollenen Sowjet-Jet wäre die Story, und dazu gäbe es jede Menge toller Fotos. Bunt gekleidete Forscher vor ewigem Eis, so etwas lieben Zeitungsleute. Das ist Material für Titelseiten.«
»Ewiges Eis?«, brummte Morley. »Das Eis hier ist alles andere als das.«
»Ihr würdet alle berühmt«, fuhr Leon unbeeindruckt fort. »Und jetzt frag dich mal, ob es, wenn du das nächste Mal Forschungsmittel für ein Projekt beantragst, einen Unterschied machen würde, ob du einfach nur der Klimatologe Doktor Adrian Cazar bist oder aber der berühmte Klimatologe Doktor Adrian Cazar.«
Morley prustete heraus vor Lachen. »Hey! Klasse Argument!«
Adrian warf dem Fotografen einen skeptischen Blick zu. »Aber du würdest jede Menge Geld damit verdienen, oder?«
Leon zuckte mit den Achseln. »Davon würde ich mich an deiner Stelle nicht irritieren lassen.«
Eine Bö erschütterte die Hütte, zum hundertsten Mal an diesem Tag. Der Wind, der sich in der Türverriegelung verfing, produzierte hohle, klagende Laute.
»Also, von mir aus«, gab Adrian schließlich nach. »Falls das Wetter je wieder besser werden sollte.«
Zwei Tage später hörte der Sturm wie abgeschaltet auf. Zum ersten Mal, seit sie auf der Insel angekommen waren, brach die Wolkendecke auf und wurde blauer Himmel sichtbar.
»Klassisch«, urteilte Morley, während sie zu packen begannen.
Und Leon erklärte: »Ideales Fotowetter. Jetzt oder nie.«
Nur Angela wollte wissen, ob sie überhaupt mitkommen solle. »Ich kann da eh nichts machen außer im Weg herumstehen.«
»Du hast ihn doch gehört«, erwiderte Adrian mit einem Kopfnicken in Leons Richtung. »Willst du die Biologin Angela MacMillan bleiben oder die berühmte Biologin Angela MacMillan werden?«
»Ich würd eigentlich lieber durch die Entdeckung einer Pflanzenart berühmt werden als durch die Entdeckung eines Düsenjägers.«
Leon checkte seine Kameras durch, zum vierten oder fünften Mal inzwischen. »Dann sag mir doch schnell«, warf er ein, »wann das letzte Mal jemand durch die Entdeckung einer Pflanzenart berühmt geworden ist.«
Das wusste Angela auch nicht. »Trotzdem. Was soll ich da oben? Ich meine, der Aufstieg ist nicht gerade ein Spaziergang, wie ich das sehe. Mehr oder weniger erst mal die glatte Wand hoch … Wäre es nicht besser, ich empfange euch mit einer warmen Mahlzeit, wenn ihr zurückkommt?«
»Mir wäre es lieber, du kämst mit«, gestand der Fotograf. »Und zwar schlicht aus optischen Gründen: Erstens, eine Expedition aus nur drei Leuten sieht ein bisschen mickrig aus. Und zweitens, dein knallgrüner Parka wird ein wunderbarer Farbtupfer sein.«
Das war eine Sprache, die Angela verstand: einfach und geradeheraus. »Okay«, meinte sie. »Dann komm ich halt mit.«
Charlotte überprüfte ihre Ausrüstung. Vier Kilometer Luftlinie, das hörte sich nach nicht viel an, tatsächlich jedoch würde der Ausflug einen ganzen Tag in Anspruch nehmen. Vor allem der Aufstieg auf die Hochebene hatte es in sich; Morley meinte, der habe ihn am ersten Tag fast umgebracht. Also packten sie Thermosflaschen mit heißem Tee in die Rucksäcke und stärkenden Proviant in Form von Nüssen und Fruchtriegeln. Und natürlich die wissenschaftliche Ausrüstung: den Sondenbohrer mit dem Bohrgestänge, Probenbehälter, allerlei Haken, Schaufeln, Markierungsfarben, Funkbojen und so weiter.
Außerdem bestand Morley darauf, dass sie die Schwimmwesten
Weitere Kostenlose Bücher