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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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und glitt davon wie von magischer Hand gezogen. Der Stachel verfehlte sie, schlug krachend ins Eis.
    »Die Schwimmwesten!«, schrie Adrian. »Die sind so gut wie Schlitten! « Damit warf er sich vornüber auf den Bauch, landete auf dem Eis und schoss sofort davon, den Gletscher hinab, mindestens doppelt so schnell, als wenn er gerannt wäre.
    Richtig. Es ging ja abwärts, die ganze Zeit schon. Trotzdem zögerte Charlotte, es den anderen gleichzutun. Sie stolperte verzweifelt weiter, bis es hinter ihr krachte und knirschte, bedrohlich nahe, so nahe, dass sie es nicht mehr wagte, sich umzudrehen, sondern auch den Satz tat, der sie mit Anlauf auf dem Bauch landen ließ, dass es ihr die Luft aus den Lungen trieb, und sie davonriss. Sie fand sich rutschend und gleitendwieder, ohne Kontrolle über ihre weitere Fortbewegung. Eis und Schnee spritzten ihr ins Gesicht, sie schlug sich die Knie an Bodenwellen an, war ganz der Schwerkraft ausgeliefert, war verloren.
    Wenigstens, dachte sie, hört man diese verdammten Dinger nicht mehr, wie sie aus dem Eis stechen. Alles, was Charlotte noch hörte, war das schabende, rauschende Geräusch ihrer eigenen Bewegung auf dem abschüssigen Gletscher. Die Augen hielt sie fast geschlossen, sah ohnehin nichts, spürte nur den Strom prickelnder Eiskristalle. Seltsamerweise hatte sie nicht das Gefühl, über einen kilometerbreiten Eispanzer zu schliddern. Ihr war vielmehr, als schösse sie durch einen weißen Tunnel.
    Jemand schrie etwas. Adrian. Sie verstand nicht, was er rief, hörte nur, dass er es ständig wiederholte, immer drängender.
    Plötzlich ergaben die Worte doch einen Sinn: »Umdrehen! Die Beine voraus! Steuern!«
    Charlotte riss die Augen auf, hob den Kopf. Schlagartig begriff sie das Problem: Sie befand sich in weitgehend ungebremster Schussfahrt einen Gletscher abwärts, der irgendwann – bald! – über dem Polarmeer endete. Wenn es ihr nicht gelang, rechtzeitig zu bremsen oder wenigstens ihre Fahrt in jene Spalte zu lenken, durch die sie aufgestiegen waren, dann würde sie über die Gletscherkante ins eiskalte Wasser stürzen.
    Bremsen? Dazu war sie viel zu schnell. Sie streckte die Arme aus, stemmte die Fausthandschuhe ins Eis … Lächerlich. Es machte überhaupt keinen Unterschied. Sie versuchte es mit den Füßen. Das kratzte ein bisschen, ließ sie aber nicht nennenswert langsamer werden. Von Steuerung keine Rede.
    Mittlerweile konnte sie das schwarze träge Meer schon sehen. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr.
    Umdrehen! Vielleicht half das. Sie versuchte sich herumzuwerfen, hieb einen Schuh gegen das Eis, kam seitlich zu liegen, was sie langsamer werden ließ … Charlotte strampelte hilflos, glitt weiter, erwischte mit einer Hand irgendeinen Eisbrocken, Stein, was auch immer, mit dessen Hilfe sie sich endgültig umdrehte.Immer noch auf dem Bauch, rückwärts rutschend, hob sie den Kopf.
    Da waren die schimmernden Klingen. Dutzende davon. Hinter ihr her.
    Eine Bodenwelle ließ sie abheben, sich in der Luft drehen, schmerzhaft hart auf dem Rücken aufkommen. Ja, so ging es. Stiefel ins Eis stemmen, Fontänen von Eissplittern aufwirbeln, die Richtung ändern. Wie eine Rodlerin bei den Olympischen Winterspielen, nur dass sie keinen Schlitten unter sich hatte, sondern ein erbärmliches Kunststoffbrett, und der Preis nicht die Goldmedaille war, sondern ihr Leben.
    So schoss sie in die Spalte zwischen den beiden Felsen, durch die sie die Hochebene betreten hatten. Vor hundert Jahren, wie es ihr vorkam.
    Jenseits davon war es vollkommen aussichtslos, so etwas wie Kontrolle über seine Schussfahrt behalten zu wollen. Hier regierten nur noch Gravitation, Trägheitskräfte und pures Glück. Charlotte zog den Kopf ein, hob ab, kam auf, wurde nach rechts und links geschleudert, geschlagen, getreten, herumgewirbelt, stieß sich, riss sich den Parka auf, bekam Schnee ins Gesicht, fühlte Schmerzen, hörte auf, Schmerzen zu fühlen, fiel einfach nur noch, immer weiter und weiter abwärts.
    Wahrscheinlich, ging es ihr durch den Kopf, werde ich mir nun das Genick brechen.
    Aber das war immer noch besser, als ausgesaugt zu werden.
    Doch sie brach sich das Genick nicht. Stattdessen kam sie in einem großen, wirren Haufen Eis und Schnee zu sich, weil jemand schrie: »Charlotte! Hey! Bist du okay?«
    Adrian. Es war Adrian, der da schrie. Es brachte sie dazu, sich aufzurappeln. Ihr Kopf schmerzte, fühlte sich an, als müsse er voller blauer Flecken sein. Ihr war schwindelig. Als sie an sich

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