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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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liegen können, ohne meterhoch von Eis und Schnee bedeckt zu werden.
    Doch ehe sie etwas sagen konnte, hörte sie Leon aufschreien. Es klang erschrocken und auch so, als habe er sich wehgetan.
    Adrian wandte sich um. »Leon?«
    Leon antwortete nicht. Er stand immer noch gebückt da, die Hand zum Boden ausgestreckt, und rührte sich nicht.
    » Leon! «
    Einen zuversichtlichen Herzschlag lang war Charlotte überzeugt, dass Leon nur einen dummen Witz machte.
    Dann setzte sich Angela in Bewegung, und die anderen folgtenihr, ließen alles stehen und liegen. Leon bewegte sich immer noch nicht. Und je näher sie ihm kamen, desto genauer sahen sie, warum nicht.
    Etwas hatte ihn aufgespießt.
    Angela blieb abrupt stehen, schlug sich die Hand vor den Mund. Adrian hielt ebenfalls inne, ächzte »Dschiesaskraist!« . Und Morley taumelte zurück, als hätte ihn ein unsichtbarer Sandsack gestoppt, drehte sich um und übergab sich in den jungfräulich weißen Schnee.
    Genau an der Stelle, an der Leons Hand den Boden berührte, ragten drei glänzende Stacheln aus dem Eis, die seinen Körper durchbohrten wie Zinken einer Gabel ein hors d’œuvre . Ein Stachel hatte seine rechte Hand durchdrungen und war auf halber Höhe des Unterarms wieder herausgekommen, um seinen Kopf unterhalb des rechten Auges aufzuspießen. Ein anderer Stachel ging durch Leons rechtes Knie und kam am unteren Rücken wieder heraus. Und ein weiterer Stachel steckte in seinem linken Oberschenkel, knapp unterhalb des Hüftgelenks.
    Es war ein Anblick wie aus dem schrecklichsten aller Albträume.
    »Oh, mein Gott«, stieß Angela hervor. Ihre Stimme bebte. »OhmeingottohmeingottohmeinGOTT!«
    Das vielleicht Schlimmste war: Leon lebte noch. Er blutete nicht einmal. Kein einziger Tropfen Rot netzte den Schnee.
    Charlotte ging weiter auf ihn zu. Sie wusste nicht, was sie tat. Sie wusste in dem Moment überhaupt nichts. Ihr Geist war vollkommen blank, leer gefegt wie eine menschenleere Eiswüste. Ihr Herz schlug so langsam, als laste ein eisernes Gewicht auf ihm.
    Leon richtete seine Augen auf sie.
    »Das tut so weh …«, hörte sie ihn kaum hörbar flüstern.
    Es war das Letzte, was Leon van Hoorn in seinem Leben sagen sollte. Im nächsten Augenblick begann er, zu – verschrumpeln.
    Sein Blick brach. Seine Gesichtszüge zerfielen. Seine Haut wurde faltig, als schmölzen Knochen, Muskeln und Fett darunterweg. Was, wie sich zeigte, genau das war, was passierte: Innerhalb von Sekunden war sein Kopf nur noch so groß wie ein vertrockneter Apfel, der Mund ein winziges Loch, die Augen verschwunden, das Gesicht nicht mehr zu erkennen. Der ganze Körper schwand dahin, die Schenkel fielen ein, die Füße lösten sich vom Eis, verkümmerten zu Wurmfortsätzen.
    Sogar die Kleidung wurde aufgesogen. Die Kamera. Die Schneebrille, die er auf die Stirn geschoben hatte. Die Schuhe schrumpften zu unansehnlichen schwarzen Klumpen, zu Klümpchen, verschwanden vollends.
    Schließlich waren nur noch drei mannshohe, silberglänzende, schwertartige Stacheln übrig, bedeckt von etwas Flirrendem, etwas, das an eine Herde aufgebrachter, überschallschneller Ameisen aus Stahl denken ließ.
    Charlotte wusste plötzlich, dass sie diese Bewegung schon einmal gesehen hatte, irgendwo, irgendwann.
    »Weg hier!«, schrie sie und fuhr herum. »Schnell!«
3
    Sie blieben erst in sicher scheinender Entfernung stehen. Genau, wie Leon gesagt hatte, war die Sonne wieder hinter Wolken verschwunden – aber nicht ganz: Hier und da fielen noch helle Bahnen herab, und eine davon exakt auf die Stelle, wo Leon … aufgesaugt worden war.
    Die Stacheln schienen allmählich kleiner zu werden, zogen sich zurück in das Eis, aus dem sie gekommen waren.
    »Was war das?«, keuchte Morley, fahl wie Schnee. »Um Gottes willen, was war das?«
    »Das glaubt uns keiner«, stieß Adrian hervor. »Verdammte Scheiße. Die Geschichte glaubt uns kein Mensch.«
    Angela zitterte. Von ihnen allen wirkte sie am meisten so, als stünde sie unter Schock. Ihr Gesicht war nass von Tränen, die am Rand ihrer Kapuze zu Eis gefroren.
    Charlotte wünschte sich, auch so weinen zu können, aber sie war innerlich wie erstarrt. Sie fühlte nichts. Alles, was sie noch konnte, war denken, und alles, was sie noch denken konnte, war: Hiroshi! Wie ein Pochen ging es ihr wieder und wieder durch den Kopf. Das alles hat irgendwie mit Hiroshis Maschine zu tun!
    Aber wie sollte sie das den anderen erklären? Keiner von ihnen kannte Hiroshi, und Charlotte

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