Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
ist ein Notruf. Wir sind in Lebensgefahr. Hier spricht Saradkov Island, Koordinaten: achtzig Grad neunundvierzig Minuten nördliche Breite –«
»Oh, Gott!«, stieß Adrian hervor. »Schau dir das an!«
Charlotte hielt inne, sah blankes Entsetzen in seinen Zügen und dass sein Blick durch das hintere Fenster hinausging. Sie richtete sich auf. Da draußen kam etwas den Berghang herab, etwas silbern Flimmerndes, so zäh und unaufhaltsam wie ein Lavastrom, nur dass es kaltes Licht war, das davon ausging.
Und was immer es war, es hielt genau auf die Hütte zu.
4
»Raus hier«, zischte Adrian.
Bewegung. Das Funkgerät musste mit, das verstand sich von selbst. Charlotte schaltete es aus, löste die Antennenstecker, klappte den Deckel zu, ließ die Verschlüsse einrasten. Adrian hastete unterdessen in die Ecken des Raumes, riss die Antenne herunter, rollte sie sich um die Hand und stopfte alles in die Jackentasche. »Los.«
Ein kurzer Blick hinaus: Das silbern schimmernde Unheimliche war schon verdammt nahe.
Im Nu war Charlotte auf den Beinen, im Nu waren sie aus der Tür. Adrian nahm ihr im Rennen den Koffer mit der Funkanlage ab. »War doch keine so blöde Idee mit dem Boot«, keuchte er.
Das Boot lag voll aufgeblasen am Wasser. Morley kam ihnen vom Strand her entgegen und blieb erschrocken stehen, als er sie sah. »Wir brauchen noch Benzin«, rief er.
»Zu spät«, rief Adrian zurück. »Schnell, zum Boot.«
»Aber der Tank ist fast –«
»Vergiss es!«
Morley wollte noch etwas sagen, aber in diesem Moment musste hinter ihrem Rücken etwas vor sich gehen, das ihn zum Schweigen brachte. Sein Gesicht nahm einen Ausdruck maßlosen Entsetzens an.
Charlotte fuhr herum. Die silberne Flut hatte die Hütte erreicht – und ließ sie in sich zusammensinken, als habe sie nur aus Pulver bestanden, das nun im Sturm zerstob.
Es bedurfte keiner weiteren Worte. Sie rannten, sprangen über Felsen, stolperten, ohne zu stürzen, stellten neue persönliche Bestleistungen auf. Angela, bis eben damit beschäftigt, den Außenborder zu befestigen, beeilte sich, das Boot vollends bis ans Wasser zu schieben. Sie stiegen hinein, die Frauen zuerst, dann Morley, und Adrian war es schließlich, der dem Boot den letzten Stoß gab und mit einem kühnen Satz an Bord sprang. Morley startete den Motor, richtete den Bug meerwärts und brachte einige Hundert Meter zwischen sie und die Insel.
»Das reicht erst mal«, meinte Adrian und hockte sich vor eine mit der Wandung verschweißte Tasche, die, wie Charlotte sah, als er sie öffnete, diverse Überlebensartikel enthielt, unter anderem ein kleines Fernglas. »Wir müssen noch sehen können, was sich auf der Insel tut.«
Morley stellte den Motor ab. »Der Tank ist so gut wie leer. Mist. Hätten wir ihn gleich aufgefüllt, dann –«
»Dann was? Wären wir bis Ostrov Uschakova gefahren? Hundertdreißig Meilen übers offene Meer? Das glaube ich kaum.« Adrian zog den Reißverschluss der Survivaltasche wieder zu, hob das Fernglas. »Die Hütte ist weg. Wie nie gewesen.«
Er reichte das Fernglas weiter, an Angela, die ihre bebenden Hände danach ausstreckte.
»Lass es uns noch einmal versuchen«, meinte er zu Charlotte. »Mit einem Notruf, meine ich.«
Charlotte kämpfte gegen nackte Panik an. Angela und Morley hatten keine Zeit gehabt, den ausfaltbaren Lattenrost einzusetzen, der normalerweise als Einlegeboden diente. So hatten sie tatsächlich nur die reine Bodenplane zwischen sich und dem eiskalten Wasser. Es fror sie an den Knien, und es war unheimlich, den Boden ständig unter sich nachgeben zu spüren.
Sie konzentrierte sich auf das Funkgerät. Deckel aufklappen, Hauptschalter betätigen, warten, dass das grüne Lämpchen aufleuchtete. Adrian zog die Antenne aus der Tasche, steckte sie ein.
Aber es war so hoffnungslos wie vorhin. Die Störstrahlung war eher noch stärker geworden.
»Was ist das für ein Monster?«, fragte Angela, das Fernglas absetzend.
»Es ist eine Maschine«, erklärte Charlotte. »Eine Art Maschine.«
»Eine Maschine, die Menschen frisst? «
»Maschinen tun das, wofür sie gebaut worden sind. Es ist ihnen egal, was das ist.«
Adrian musterte Charlotte. »Wie kommst du darauf? Dass das eine Maschine ist, meine ich?«
Ich glaube, dass mir diese Maschine – oder ihr Vorgängermodell – schon einmal eine Tasse Kaffee serviert hat. Konnte man so etwas sagen, hier, jetzt, nach allem, was geschehen war? Unmöglich.
Außerdem stimmte es nicht. Sie hatte ihr
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