Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
sich die Ereignisse folgendermaßen dar: Die Sonde ist irgendwann im Lauf der Geschichte aufgeschlagen und im Eis versunken. Sie wird versucht haben, sich zu entfalten und ihren Auftrag auszuführen. Wir müssen sie uns wie ein Samenkorn vorstellen: Die Naniten darin haben über einen gewissen Grundvorrat an Energie und Rohstoffen verfügt. Aber umschlossen von Millionen Kubikmetern Eis standen ihnen weder weitere Energiequellen noch eine genügend große Auswahl an Elementen zur Verfügung – nur Wasserstoff- und Sauerstoffatome, und damit konnten sie ihren Auftrag nicht erfüllen. Also haben sie sich so weit vorgearbeitet, wie es ging – und dann gewartet.«
»Worauf?«, fragte Whitecomb.
»Darauf, dass sich die Bedingungen verbessern«, sagte Hiroshi. »Und vor allem auf Kohlenstoff.«
»Kohlenstoff?«
»Kohlenstoff ist das kleinste Atom, das vier Molekularbindungen eingehen kann. Es spielt deswegen in nanotechnischen Konstruktionen eine zentrale Rolle.« Was immer auf dem Bildschirm vor ihm gerade vor sich gehen mochte, es erforderte offenbar, dass er einen Moment lang innehielt, nachdachte unddann rasch ein paar Tasten drückte. »Dieser Vorfall mit dem holländischen Journalisten«, sagte er dabei. »Ein menschlicher Körper besteht zu 10,7 Prozent aus Kohlenstoff. Das sind bei einem Körpergewicht von fünfundsiebzig Kilogramm etwa acht Kilogramm Kohlenstoff, das entspricht etwa vier mal zehn hoch sechsundzwanzig Atomen …«
Whitecomb schnaubte unwillig. »Sie wollen uns doch nicht im Ernst erzählen, dass der in einem einzigen menschlichen Körper enthaltene Kohlenstoff ausreicht, um eine dreißig Quadratkilometer große Insel komplett mit Stahl zu überziehen?«
»Nein, natürlich nicht. Aber die Naniten mussten ja nur so weit kommen, dass sie unbegrenzten Zugang zu allen Elementen bekamen, die sie benötigten. Das Eis war unergiebig, der direkt anschließende Fels vermutlich schon so weit wie möglich ausgebeutet – ich stelle mir vor, dass sie, ehe sie an den im Körper des Journalisten enthaltenen Kohlenstoff kamen, sozusagen nur noch einen Fingerbreit von weiteren Ressourcen entfernt waren. Die besagten acht Kilogramm waren eher eine Art Zündfunke.«
Charlotte spürte einen Würgereiz. Sie erinnerte sich an Leon van Hoorn als an einen sympathischen Abenteurer mit einem Hang zu missratenen Witzen – und diese Männer hier sprachen von ihm nur als von acht Kilogramm Kohlenstoff!
»Die Insel Saradkov«, ließ sich Admiral Uljakow vernehmen, »ist schon zu Stalins Zeiten auf Bodenschätze untersucht worden. Da ist nichts. Nur Fels.«
»Nichts, was sich mit menschlicher Arbeitskraft auszubeuten lohnen würde, das mag sein«, erwiderte Hiroshi. »Aber in der Größenordnung, in der Nanotechnik die Welt betrachtet, gibt es fast überall Ressourcen. Spätestens, als die Naniten bis zum Ozean durchgedrungen waren, hatten sie kein Nachschubproblem mehr, denn Meerwasser enthält in gelöster Form sämtliche Elemente, die es gibt. Manche nur in Spuren, zugegeben – doch wenn man beliebig viel Meerwasser und ausreichend Energiezur Verfügung hat, kann man daraus alles gewinnen, was man braucht.«
»Ausreichend Energie – gutes Stichwort«, hakte Whitecomb ein. »Einer von den Leuten, die den Präsidenten beraten – ein gewisser Doktor Dragsler oder so ähnlich –, hat gesagt, die zentrale Frage sei, woher die Naniten ihre Energie beziehen. Ohne Energie gehe gar nichts.«
Hiroshi nickte. »Das ist richtig. Ich vermute, die Energie stammt aus dem Erdinneren. Die Naniten haben wahrscheinlich Fühler bis in mehrere Kilometer Tiefe gebaut und gewinnen aus den Temperaturunterschieden Energie.«
»Aus dem Erdinneren? Hier?«, meinte Whitecomb skeptisch. »Daraus kann man genügend Energie gewinnen für das da? « Er wies in Richtung der Insel, die stählern schimmernd am Horizont aufragte wie die Feste von Mordor.
Hiroshi sah den amerikanischen Konteradmiral ausdruckslos an. »Es ist eine wenig bekannte Tatsache, dass das Innere der Erde fast so heiß ist wie die Oberfläche der Sonne und dass es sich in all den Jahrmilliarden seit der Entstehung des Planeten nicht wesentlich abgekühlt hat. Ja, ich glaube schon, dass man daraus genügend Energie gewinnen kann für alles, was man will.«
Uljakow beugte sich vor. »Das heißt, dass wir diesen Maschinen einfach den Strom abdrehen können, oder? Wenn wir diese … Fühler ins Erdinnere irgendwie abschneiden, sind sie am Ende. Also tun wir das
Weitere Kostenlose Bücher