Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Schultern. »Ich finde das evident. Spätestens seit Beginn der Industrialisierung geht es darum, in dem, was wir tun, Routineabläufe zu identifizieren, zu isolieren, zu perfektionieren und schließlich auf Maschinen auszulagern. Und in dem Moment, in dem eine bestimmte Arbeit von einer Maschine genauso gut oder besser ausgeführt werden kann, ist es keine menschenwürdige Arbeit mehr und sollte auch nicht mehr von einem Menschen ausgeführt werden.«
»Und was würden Sie einem Menschen sagen, der aufgrund dieser Logik seinen Job verloren hat?«
»Dass er sich einen anderen Job suchen soll«, erwiderte Hiroshi trocken.
DeLouche lächelte wie ein Haifisch. »Ach ja? Nach Ihrer Logik wird es aber nach und nach immer weniger Jobs geben.«
»Es wird zunächst andere Jobs geben. Vor hundert Jahren war ein Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, heute sind es noch drei Prozent. Trotzdem haben wir nicht lauter arbeitslose Bauern.«
»Schönes Argument«, meinte DeLouche siegessicher. Er beugte sich leicht vor, wie immer, wenn er damit rechnete, seinem Kontrahenten demnächst den finalen Stoß zu versetzen. »Aber was hilft das dem Arbeiter, der durch einen Roboter ersetzt wurde, auf der Straße steht und Arbeit braucht?«
Es war so mucksmäuschenstill, dass man die klinisch weißen Leuchtelemente an der Decke surren hörte. Und natürlich das Blech an der Luftzufuhr mit seinem unablässigen tak-a-tak-tak-a .
»Genau genommen«, sagte Hiroshi bedächtig, »braucht er nicht Arbeit . Er braucht Geld. Oder, allgemein gehalten, er muss seinen Lebensunterhalt sicherstellen. Das ist das eigentliche Problem.«
»Womit wir beim Sozialsystem wären«, erwiderte DeLouche. Er musterte Hiroshi über den Rand seiner Brille hinweg. »Können Sie sich eigentlich auch vorstellen, dass Menschen gerne arbeiten? Dass sie ihre Arbeit als identitätsstiftend empfinden? Und nicht nur als Mittel, um den Lebensunterhalt zu sichern?«
»Doch, bei Ihnen kann ich mir das vorstellen«, erwiderte Hiroshi mit ausdruckslosem Gesicht. »Aber meine Mutter zum Beispiel war Wäscherin. Sie hat jahrelang jeden Tag Dutzende von Handtüchern, Tischtüchern und Unmengen von Kleidung gewaschen, getrocknet und gebügelt. Und sie fand das kein bisschen identitätsstiftend. Als sie es nicht mehr tun musste, hat sie sofort gekündigt.«
DeLouche blinzelte irritiert. Er verlor an Boden, und er merkte es.
Und es missfiel ihm sichtlich. »Ihre Mutter konnte es sichaussuchen«, sagte er scharf. »Der Fabrikarbeiter kann es sich nicht aussuchen. Denken Sie nicht, dass das ein entscheidender Unterschied ist?«
Hiroshi holte tief Luft. »Nein, das denke ich nicht«, erwiderte er mit gnadenloser Entschiedenheit. »Vor der Erfindung des Computers gab es zum Beispiel den Beruf des Rechners . Damals saßen in Versicherungen, Banken und Rentengesellschaften ganze Säle voll solcher Leute, die den ganzen Tag lang nichts anderes taten, als lange Zahlenreihen von Hand zusammenzuzählen, die anschließend von einer anderen Abteilung noch einmal zusammengezählt wurden, um Fehler auszuschließen. Nach Ihrer Logik wären wir besser dran, wenn es diese Jobs noch immer gäbe. Und das eben bestreite ich. Wenn wir Arbeit definieren als das, was man nicht tun würde, wenn man nicht müsste, dann ist in der Tat die arbeitslose Gesellschaft die große Vision aller technischen Entwicklung. Das Ziel ist eine Welt, in der jeder nur noch das zu tun braucht, wozu er Lust hat.«
Die anderen waren beeindruckt. Manche nickten sogar unmerklich. DeLouche wusste, dass er nicht mehr gewinnen würde und besser daran tat, die Diskussion zu beenden.
»Interessanter Standpunkt«, quetschte er also grimmig hervor. »Aber ich fürchte, wir werden das jetzt so stehen lassen müssen, damit auch die übrigen Arbeiten noch zu ihrem Recht kommen.«
Den Rest der Stunde richtete er das Wort kein einziges Mal mehr an Hiroshi.
Keine Frage, dass er ihn diese Diskussion spüren lassen würde, wenn es an die Noten ging.
Sie saßen zu dritt im altehrwürdigen Loker-Lesesaal der altehrwürdigen Widener-Bibliothek und blätterten lustlos in ihren Büchern. Bennett dachte einmal mehr, dass es doch keine so gute Idee gewesen war, ausgerechnet Anthropologie zu studieren. Er hatte sich das spannend vorgestellt, aber tatsächlich wardas Fach staubtrocken und ihre Dozentin eine alte Schachtel, die nicht nur für seinen Charme völlig unempfänglich war, sondern sich auch von dem Umstand, dass sein
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