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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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ist kein Bildnis John Harvards überliefert. Trotzdem haben wir diese Statue. Und das, wohlgemerkt, auf dem Campus einer Universität, deren Motto veritas lautet, Wahrheit .«
    Hiroshi musterte die Statue noch einmal. In der Tat, wenn man das wusste, sah man sie mit anderen Augen. »Seltsam.«
    Charlotte setzte ihren Rucksack ab, schnürte ihn auf, holte eine Wasserflasche und eine gut gefüllte Plastiktüte heraus und reichte ihm beides. »Hier. Das ist für dich; das musst du selber tragen.«
    Hiroshi wog die Tüte in der Hand. »Proviant. Wir machen eine Wanderung.«
    »War nicht schwer zu erraten, oder?«, meinte Charlotte. »Nachdem ich dich nach Wanderschuhen gefragt habe.«
    »Nein, ich habe es mir schon gedacht«, gab Hiroshi zu. Er nahm seinen Rucksack ab und verstaute das Lunchpaket und das Wasser. Er hatte ein paar der Energieriegel eingepackt, mit denen er sich in langen Programmiernächten wach hielt; davon hatte er immer einen Vorrat zu Hause. Die würde er später mit ihr teilen. »Und wohin geht es?«
    »In die Vergangenheit«, erklärte Charlotte. Sie schwang sichden Rucksack wieder auf den Rücken und wandte sich dem Johnston Gate zu, dem Haupteingang des Universitätsgeländes. Dann hob sie den rechten Fuß und setzte ihn einen Schritt weit vor. »Das sind hundert Jahre.« Sie blieb stehen, beugte sich nach hinten und deutete auf einen Punkt unmittelbar vor ihrem linken Schuh. »Ungefähr da sind wir beide geboren.« Ihre Hand ruckte vor, bis etwas über die halbe Schrittlänge. »Da war der Zweite Weltkrieg. Und da der Erste.« Sie zeigte auf eine Stelle kurz vor der Ferse ihres vorderen Schuhs. »So weit klar?«
    »Ja«, sagte Hiroshi und nickte.
    Charlotte machte einen zweiten Schritt. »Industrialisierung. Napoleon. Französische Revolution.« Ein dritter Schritt. »Ludwig XIV., der Sonnenkönig.« Ein vierter Schritt. »Dreißigjähriger Krieg.« Ein fünfter. »Reformation.« Ein sechster. »Kopernikus.« Ein siebter. »Die Pest in Europa.« Ein achter. »Dschingis Khan. Marco Polo.« Ein neunter. »Die Kreuzzüge. Ganz Europa wird christlich.« Ein zehnter. »Die Normannen erobern England. Wir sind tausend Jahre in der Vergangenheit.«
    »Okay«, sagte Hiroshi, der skeptisch neben ihr hergegangen war. Das konnte was werden, bei seinen Geschichtskenntnissen!
    Charlotte machte zehn weitere Schritte, stand nun mitten in dem kargen Rasenstück vor der University Hall. »Jesus von Nazareth. Römisches Imperium.« Zehn weitere Schritte. »Tausend Jahre vor Christus. Wir sind jetzt dreitausend Jahre in der Vergangenheit. In der Eisenzeit. In der Zeit von Pharaonen wie Tutanchamun oder Ramses.«
    Weitere zwanzig Schritte; sie erreichten die breite Zufahrtsstraße. »Dreitausend vor Christus. Das altägyptische Reich entsteht. Die Pyramiden von Gizeh sind noch nicht erbaut worden.«
    Hiroshi musste mitzählen. Sie hatte bereits fünfzig Schritte getan, nun machte sie noch einmal fünfzig.
    »Achttausend vor Christus. Mitten in der Jungsteinzeit. In China betreibt man schon Landwirtschaft.«
    Weitere dreißig Schritte. Sie standen jetzt ziemlich genauunter dem Johnston Gate, dem Zugang zum Old Yard von Harvard. »Elftausend vor Christus«, sagte Charlotte und wies mit dem ausgestreckten Zeigefinger zu Boden. »Es gibt Spuren, die auf Getreideanbau in Mesopotamien schließen lassen. Jerf el Ahmar und Göbekli Tepe stammen aus dieser Zeit, die ältesten bekannten Tempelbauten der Menschheit.«
    Hiroshi blickte auf die Strecke, die sie von John Harvards Statue bis hierher zurückgelegt hatten, und nickte beeindruckt. »Und damit endet die Geschichte.«
    »Von wegen«, sagte Charlotte. »Sie beginnt gerade erst.«
    Sie drehte sich um und trat durch das Tor hinaus auf die Straße. Jenseits der Fahrbahn lag ein kleiner Park, dahinter ragte ein eigenartig spitzer Kirchturm auf. Charlotte deutete nach rechts: »Wir gehen weiter zurück. Wir kommen jetzt in die Würm-Eiszeit.«
    James parkte seinen Geländewagen schwungvoll auf dem Platz direkt neben dem Eingang, den Charles ihm wie versprochen frei gehalten hatte. Mit Namensschild, wohlgemerkt. Hoffentlich hatte Terry das auch gesehen.
    Er stieg genauso schwungvoll aus und hievte die Golftasche aus dem Kofferraum. Er war fünfzehn Minuten zu spät dran; absichtlich natürlich. Es sollte nicht so aussehen, als ob er es nötig hätte. Hatte er ja auch nicht. Er konnte jederzeit mit Charlotte schlafen. Oder mit einem Dutzend anderer Mädchen aus seinem

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