Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
abgeben, wenn ich mir dich so anschaue. Ich muss dich bloß noch ein bisschen ins Schwitzen bringen, denn gut durchfeuchtet rutschen Lämmchen viel besser.«
Sie kicherte wieder. »Ich wusste gar nicht, dass du so einen Humor hast.«
»Du weißt vieles nicht über mich.« Er entschied sich, ganz klassisch, für das Einser-Holz. »Also, pass auf, ich mach dir den ersten Schlag vor. Du schaust einfach zu.« Er legte den Ball auf ein Tee und ging in Position, konzentrierte sich. Wichtig, dass der erste Schlag heute saß.
Ausholen, Schwung – und zack. Zufrieden sah er dem Ball nach, der schön flog, weit, aber nicht zu weit. Erstens, weil er sie nicht entmutigen wollte, zweitens, weil er es nicht eilig hatte.
»Jetzt du. Erst mal trocken, ohne Ball.«
»Einfach so?«
»Du machst einen Schlag, ich korrigier dich, dann machst du den nächsten Schlag. Auf«, forderte er und wies auf ihren Golftrolley, »ich will dich schwitzen sehen!«
Sie brauchte eine Weile, bis sie den Driver identifiziert hatte. Die Position, die sie über dem leeren Tee einnahm, war schon mal nicht allzu übel, aber der erste Schlag denkbar unbeholfen: Wenn da ein Ball gelegen hätte, er hätte nicht mal einen Luftzug abbekommen.
Er erklärte ihr, was sie falsch gemacht hatte: Schläger tiefer halten, weiter ausholen, den Schläger nicht so verkrampft halten. Und noch mal. Und mehr in den Hüften drehen, Schätzchen. Und noch mal.
Nach dem zehnten Schlag ohne Ball ächzte sie: »Puh! Das lern ich nie.«
Das Signal, einen Gang hochzuschalten. »Doch, das lernst du. Gar keine Frage. Du musst nur das mit der Haltung des Schlägers hinbekommen. Pass auf«, sagte er, trat hinter sie, legte die Arme um sie und korrigierte ihre Haltung. »So. Jetzt aus holen. Ganz langsam. Zeitlupe.«
Er führte ihre Arme, und einen Moment lang vergaß er sie, vergaß er alles, ging es nur darum, dass sie den Schläger von Anfang an richtig führte, weil man das, was man sich am Anfang falsch angewöhnte, später schrecklich schwer wieder loswurde. Dann stieg ihm von ihrem Hals ein Hauch Parfüm in die Nase, ein süßlicher, billiger Duft, den sie sich abgeduscht hatte und dessen Überreste sich mit ihrem Körpergeruch vermischten, einem Geruch nach Moschus und Veilchen, und sein eigentliches Ziel bei diesem Wettkampf fiel ihm wieder ein.
Er sah auf ihren Nacken hinab, sah ihre Halsschlagader pochen. Sie ließ es zu, dass er sie korrigierte, aber er konnte deutlich spüren, dass sich irgendetwas in ihr in aufregender Weise sträubte. Sein Drang, am Ende der Strecke etwas ganz anderes einzulochen als einen Golfball, wurde schier überwältigend.
Hiroshi und Charlotte gingen ein Stück an der Massachusetts Avenue entlang, überquerten sie schließlich und folgten der Garden Street auf angenehm breiten Fußwegen aus braunen Pflastersteinen. Es herrschte reichlich Verkehr, und immer wieder keuchte ein Jogger an ihnen vorüber. Eine Weile marschierten sie auf einen weiteren, massiveren Kirchturm zu, dann daran vorbei, passierten ein Sheraton-Hotel. Die Alleebäume wichen klotzigen Ziegelfassaden rechts und links der Straße. Vor dem rot überdachten Hoteleingang stand ein ältlicher Page in Uniform, der sie misstrauisch musterte.
Die Bäume am Straßenrand kehrten zurück, aber die Fußwege bestanden nun nur noch aus groben, vielfach geborstenen Betonplatten. Häuserblocks aus dunkelroten Ziegeln beherrschten das Straßenbild. Die Fußwege wurden schmaler, die Bäumegrößer, überwölbten die Fahrbahn an ein paar Stellen. Nach und nach rückten die Gebäude in den Hintergrund, wurden hinter Büschen und Bäumen fast unsichtbar.
An einer Querstraße blieb Charlotte schließlich stehen. »Hier endet die erste Eiszeit«, sagte sie. »Beziehungsweise die letzte; wir gehen ja rückwärts. Und sie endet nicht, sie beginnt.« Sie musterte ihn fragend. »Drücke ich mich eigentlich klar aus?«
»Nein«, sagte Hiroshi und musste lachen, »aber ich verstehe schon, was du meinst.« Er schaute zurück. Sie waren vielleicht eine Viertelstunde marschiert und hatten ungefähr einen Kilometer zurückgelegt, waren nach Charlottes Maßstab folglich rund hunderttausend Jahre in die Vergangenheit gereist. So lange war also ein großer Teil der heutigen Welt von Eis bedeckt gewesen? Kaum zu fassen.
»Okay«, sagte Charlotte. »Merk dir diese Stelle.«
Hiroshi sah hoch, las das Straßenschild. Die Querstraße hieß Parker Street. Rechts und links standen mächtige alte Bäume,
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